Krokodil im Nacken
nach. Ein Handelsdirektor, der auch die Putzfrau so freundlich grüßte, als wäre sie eine Vorgesetzte oder sonst jemand Wichtiges, war eine Besonderheit. Steckte hinter dieser Freundlichkeit allein die Furcht dessen, der außerhalb der Norm lebte und davor zitterte, dass irgendwann einmal mit dem Finger auf ihn gezeigt wurde? Es gab da ja diesen Paragraphen 175, der alle, »die am 17. Mai geboren waren« und ihre Homosexualität auslebten, unter Strafe stellte. Was, wenn das bisher nur Vermutete mal näher beleuchtet wurde?
An jenem Tag, an dem er Lenz zu sich rief, saß Hartmann in seinem geräumigen Arbeitszimmer, rauchte seine Zigarette und lud Lenz freundlich winkend ein, Platz zu nehmen. »Eine unangenehme Pflicht«, begann er, um gleich darauf achselzuckend zuzugeben: »Aber angenehme Pflichten sind eher selten, nicht wahr?« Er lächelte und kam zur Sache: »Bogner meint, einer wie Sie gehört zu uns. Und nun hat er den Verdacht, Sie wären undankbar. Also raus mit der Sprache! Weshalb wollen Sie nicht Kandidat unserer Partei werden?«
Lenz reagierte verärgert. Er begreife nicht, was seine Weigerung, in die Partei einzutreten, mit Undankbarkeit zu tun hätte. Er mache seine Arbeit – würde er sie nicht bewältigen, solle man ihn ablösen.
Hartmann machte eine Handbewegung, die anzeigen sollte: Nun regen Sie sich mal wieder ab, lieber junger Freund; Sie reden hier nicht mit Bogner, sondern mit mir. Laut sagte er: »Bogner meint, Sie würden eben nicht nur als Arbeitskraft gebraucht. Und da hat er ja nicht Unrecht, ein junger Mann wie Sie würde unserer Parteiorganisation nicht schlecht zu Gesicht stehen. Also, was hält Sie davon ab, sich mehr zu engagieren?«
Da fasste Lenz Vertrauen und gab zu, dass sie ihm Angst machte, diese Partei, die so sehr von ihrer Unfehlbarkeit überzeugt war. Er möge es nun mal nicht, dieses Vergöttern von allwissenden Führern und diese einschränkende Parteidisziplin. Die SED würde ihre Mitglieder ja wie Kindergartenkinder behandeln, bei Fehltritten Parteirügen erteilen und sich sogar in deren Privatleben einmischen; so etwas könne er nicht mit sich machen lassen.
Hartmann ließ seine Zigarette qualmen und hörte zu, und Lenz fuhr fort: Jene Art »Lebensklugheit«, so zu tun, als sei man »dafür«, nur um Vorteile zu erhaschen, gehe ihm nun mal ab. Er sehe sie zu Tausenden herumlaufen, all die »Überzeugten« mit dem Bonbon im Knopfloch. Anfangs machten sie nur irgendwelcher Vorteile wegen mit, später weil sie an die Richtigkeit »der Sache« glaubten. »Hält ja keiner lange aus, sich immer nur als Nutznießer oder Mitläufer zu sehen.«
Sagte es und stockte. War er zu weit gegangen? Was mutete er dem Genossen Hartmann denn da zu?
Hartmann sah ihm seine Bedenken an und lächelte mit spitzem Mund. »Reden Sie nur weiter. Ich weiß Ihre Ehrlichkeit zu schätzen.«
Lenz zögerte nur kurz, dann gab er eine Geschichte zum Besten, die ihm erst kürzlich zugetragen worden war: Ulbricht wollte mal wieder eine richtungsweisende Rede halten, das Fernsehen sollte übertragen. Damit nichts schief ging, wurden die Parteimitglieder, die seinen Worten lauschen sollten, bereits tags zuvor in den für die Übertragung vorgesehenen Saal gebeten. Ihre »spontanen« Reaktionen mussten einstudiert werden: An welcher Stelle der Rede hatten sie in Jubel auszubrechen, wann vor Begeisterung über die Weisheit des Genossen Generalsekretär von ihren Sitzen zu springen, wann welche Losungen zu skandieren. »So was würde ich nie mit mir machen lassen. Also würde ich ständig Ärger bekommen.«
Hartmann sinnierte einen Augenblick, dann sagte er leise, er sei nicht dumm genug, um nicht zu wissen, dass Lenz zu einem großen Teil Recht habe. Natürlich gebe es in seiner Partei Fehlentwicklungen, wer wolle das leugnen? »Aber können Sie daran etwas ändern, solange Sie nur abseits stehen? Machen Sie es sich nicht zu leicht, wenn Sie die Mitglieder unserer Partei in Bausch und Bogen ablehnen? Nur wer dabei ist, bestimmt die Richtung; sorgen Sie mit dafür, dass die Ehrlichen und Aufrichtigen die Mehrheit bilden.«
Kein sehr neues Argument. Lenz kannte so viele, die eingetreten waren, weil sie hofften, von innen heraus bewirken zu können, was von außen nicht möglich war. Fast alle beschwerten sie sich über Engstirnigkeit und Intoleranz. In der Partei werde immer nur aneinander vorbeiphrasiert; keiner, der es wage, mal ein offenes Wort zu reden oder den Problemen an die Wurzel zu
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