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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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benötigt wurden; natürlich in der Reihenfolge der Anwendung. Keine große Schwierigkeit, doch als Lenz fertig war, lachte der kleine Mann Tränen: Sein Prüfling hatte kein einziges Instrument vergessen, auch die Reihenfolge, in der er sie eingesetzt hatte, stimmte – nur hatte er seinen Patienten, bevor er ihm den Schädel aufbohrte, nicht narkotisiert.
    Über Fachrichtungsleiter Klenke, zuständig für alle gesellschaftswissenschaftlichen Fächer, gingen die Meinungen auseinander. Die einen fanden ihn ganz gemütlich, die anderen hielten ihn für einen sozialistischen Betonkopf. Lenz empfand den mittelgroßen Mann mit dem runden, selbstzufriedenen Gesicht, den weißen Strähnen im mittelblonden Haar und den fröhlichen Augen hinter dicken Brillengläsern als nervend, aber auszuhalten: Wer mit ihm keine »Feinddiskussion« führte, kam mit ihm aus. Und war, wer mit Betonköpfen diskutieren wollte, nicht selbst schuld? Er, Lenz, hatte sich mal wieder vorgenommen, am besten zu allem nur zu grinsen. Und zu begrinsen gab es im Fall Klenke einiges, denn er hatte nicht nur eine ganz eigene Art zu philosophieren, er sprach auch ein ganz fürchterliches Sächsisch und hatte Probleme mit Zischlauten. »Es gibt Leude«, führte er einmal aus, »dänen is zu viel Dee im Dee, zu viel Gaffe im Gaffe und zu viel Morx im Morxismus.« Sprach er vom Klassengegner, hatte man das Gefühl, er kaue auf Gummibärchen herum. Sein Lieblingsthema: »Die Bolidik der Unbolidschen.« Stundenlang konnte er beweisen, dass in Wahrheit niemand »unbolidsch« war, nicht der Bäcker in seinem Laden an der Ecke, nicht der Poet in seinem »Kammerstübschen«, schon gar nicht der Ökonom, der für die Versorgung der Bevölkerung Sorge zu tragen hatte. »Man kann schleschte Brötschen backen und damit den Unmuut der Bevälkerung hervorrufen oder gude, wohlschmeggende. Man kann schleschte Gedischte machen und damit die Gäpfe verwirrn oder gude, die unseränem das bischschen Geischt, des mer noch hab’n, uffhellen. Man kann de Bevälkerung so versorchen, dass se alles hat, was se braucht, um schufried’n läb’n und orbeeden zu gönn, man kann durch de Vernachlässichung der Versorchung der Bevälkerung aber auch änne revolutschionäre Siduadschion schaffen. Der Imberialisd, ne wohr, hat diesen Fähler oft begangen.«
    Gab es Positives zu berichten, sprach Klenke gern von den hervorragenden Leistungen der »Bardeifiehrung«, lief etwas nicht wie gewünscht, sprach er von Fehlern der Staatsmacht. Befürchtete er einmal nicht, dass die Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu einer revolutionären Situation führen könne, zog er über diejenigen her, die meinten, mit vollen Schmalztöpfen sei alles zu korrigieren. »Dabei is doch die Indegratschion jädes unsrer Menschen ins Gollektiv des viel dringendere Broblem, ne wohr?«
    Große Diskussionen gab es, als die Universitätskirche abgerissen werden sollte, um dem Neubau der Karl-Marx-Universität Platz zu machen.
    Ein Vorhaben, das die Leipziger Studenten zuhauf auf die Straße trieb. Was eine ganz und gar ungewöhnliche Sache war; Demonstrationen wurden doch ansonsten stets nur von oben angesetzt. Und von oben wurde auch bestimmt, wofür – den Weltfrieden – oder wogegen – die imperialistischen Aggressoren – man zu demonstrieren hatte. Sich vor diesen Demonstrationen zu drücken, war beliebtester Volkssport. Jetzt aber demonstrierten auf einmal die, die sonst nie demonstrierten, denn was die Partei sich da leistete, war zu viel. Niemand Geringeres als Martin Luther hatte die siebenhundert Jahre alte Paulinerkirche einst zur evangelischen Universitätskirche geweiht, berühmt war sie für ihr prachtvolles Portal, den gotischen Turm und die altehrwürdige Orgel, auf der schon Johann Sebastian Bach zahlreiche seiner Werke uraufgeführt hatte – und nun sollte ein simpler sozialistischer Verwaltungsbau mit riesigem Büroturm und dem Relief von Karl Marx an die Stelle einer der ältesten Universitätskirchen Deutschlands gesetzt werden? Die Studenten verlangten nicht weniger als die Rücknahme dieses geplanten barbarischen Akts. Man musste die neue Uni doch nicht unbedingt dorthin setzen, wo ein sieben Jahrhunderte altes christliches Bauwerk stand!
    Die Partei jedoch ließ nicht mit sich diskutieren – und holte den Knüppel aus dem Sack: Viele der vom Klassengegner ideologisch manipulierten Wirrköpfe wurden festgenommen und identifiziert und später exmatrikuliert und zu Gefängnisstrafen oder

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