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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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zur Bewährung in der Produktion verurteilt. Vier von den zur Bewährung Verurteilten waren Direktstudenten der Fachschule für Pharmazie und Medizintechnik, und Klenke gebärdete sich als deren strengster Richter, als Anfang Juni 68 auch die Fernstudenten wieder zu Prüfungen und Unterricht in Leipzig erschienen und schon wussten, dass alle Proteste keinen Erfolg gehabt hatten. Wenige Tage zuvor hatten siebenhundert Kilo Dynamit ihre Arbeit getan.
    Nein, da konnte Lenz nicht mehr nur grinsen. Eine Zeit lang hörte er nur angewidert zu, dann vergaß er alle seine guten Vorsätze und diskutierte doch mit Klenke. Er empfinde es als ein schlimmes Vergehen an der Geschichte, erregte er sich, wertvolle Kulturdenkmäler zu sprengen, allein um Platz für Neubauten zu schaffen. Noch dazu, da ja der Krieg schon so vieles vernichtet habe. Auch sei es nicht im Geringsten gerechtfertigt, alle, die gegen diesen nicht wieder gutzumachenden Fehler demonstriert hätten, zu Staatsfeinden zu erklären. Schließlich hätten die Studenten nicht gegen den Staat, sondern nur für den Erhalt eines historischen Bauwerks demonstriert.
    Klenke rückte an seiner Brille. »Sind Se religiäs, Länz?«
    »Hierbei geht’s doch nicht um Gott – es geht um ein Kulturdenkmal!«
    Da lachte er mal wieder, der gemütliche Klenke. »Was für änne Illuschjohn, Länz! In diesem Fall gäht’s doch nich um de Hischtorie, es gäht um unsern Schtaat, um de Rägierung der Arbeiter und Bauern, um de Macht in unser’n Händen. Da will man ran. Klän fängt ma an – mit ner Kärsche, was is denn nu scho änne Kärsche? –, aber wo, Länz, hört’s auf?«
    Was hätte er auf einen solchen Blödsinn antworten sollen? Sie sind ein Idiot, Klenke, mit Ihnen red ich nicht mehr?
    Auch von den anderen hatte niemand Lust, sich weiter mit diesem Thema zu beschäftigen. Klenke bemerkte es mit Genugtuung. »Normolerweise hätten mer diese vier Browokatöre ja ä bischschen länger einschperren müss’n. Aber mer sind ja gor nich so, mer gäb’n ihnen noch ’ne Schangs. Bädagogische Sanktschionen gelten ja nich für de Äwigkeit. Se dürfen sich bewähren, unsre Herren und Damen Wirrgäpfe. Das fühlt sich ja schon als Intelligenschler, nur weil man’s Einmoleins beherrscht. So was gehärt zurück an de Bosis. Rischtich?«
    Saß Lenz nicht hinter seinem Schreibtisch in der Reinhardtstraße, nur wenige Schritte vom Deutschen Theater entfernt, oder in einem der Leipziger Seminarräume, entlud er keine LKWs und paukte er nicht fürs Studium, dann schrieb er. Nur schreibend lohnte sich die Auseinandersetzung mit den Bogners und Klenkes dieser Republik.
    Links von seinem Fenster im fünften Stock der Michaelkirchstraße 24, nur fünf Minuten Fußweg entfernt, wusste er den Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße, rechts, ein paar Minuten weiter, den neu erbauten Alexanderplatz mit dem mächtigen Fernsehturm, dem »Stolz der Republik«. Dicht an der Schnittstelle der Welt lebte sie nun, die vierköpfige Familie Lenz; hier stießen nicht nur die Berliner Bezirke Mitte und Kreuzberg aufeinander, hier prallte die sozialistische Hälfte der Welt auf die kapitalistische. Eine Grenzziehung, die auch an den Kindern nicht spurlos vorüberging.
    Eines Sonnabends holte Lenz die frisch eingeschulte Silke, die so gern plauderte, von der Schule ab. Direkt an der Mauer gingen sie entlang, in Richtung auf den Grenzübergang zu. Mitten in einem Gespräch über neu gewonnene Freundinnen zeigte sie auf einmal auf die Grenzanlagen: »Da drüben wohnen die Bösen.«
    »Wer hat denn das gesagt?«
    »Frau Zielke.«
    Erst verschlug es ihm die Sprache, dann empörte er sich: »Aber das ist falsch, das ist ganz dummes Zeug. Du kennst doch Onkel Jo und Tante Gaby. Sind die böse?«
    »Nein!«
    »Und deine Mami, die hat doch früher auch dort gewohnt. Ist sie böse?«
    »Nein!«
    »Na, siehst du!«
    Einen Moment dachte sie nach, die Erstklässerin, die so stolz darauf war, in der Schule etwas gelernt zu haben, dann protestierte sie: »Aber eine Lehrerin lügt doch nicht!«
    Da hätte er antworten müssen: Doch! Deine Frau Zielke lügt! Sie lügt, entweder weil sie dumm ist oder weil es ihr befohlen wurde. Aber durfte er Silly das antun? »Vielleicht hast du dich ja verhört«, sagte er ausweichend.
    »Hab ich nicht!« Jetzt war sie zutiefst beleidigt.
    »Na gut! Dann hat Frau Zielke sich eben geirrt. Ist ja nicht schlimm.« Er nahm sie auf den Arm und küsste sie. Zufrieden aber waren sie beide

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