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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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machte. Waren die weiblichen Grenzverletzerinnen, die ja nicht alle wegen mitreisender Kinder eine bevorzugte Behandlung genossen haben dürften, in extra Frauentransporten oder mit Linienmaschinen ausgeflogen worden? Vielleicht, weil man sie für weniger gefährlich hielt?
    Drei Reihen vor Lenz, ebenfalls auf einem Fensterplatz, saß Detlef Dettmers. Als Lenz das Flugzeug betrat, hatte er dem langen Studenten mit der verbogenen Nickelbrille, dem die blanke Glatze etwas kindlich Freches verlieh, kurz zugelächelt, und der noch im Zug nach Sofia so lustige Pankower hatte traurig zurückgelächelt: Nein, hier würden sie keine komischen Opern aufführen können; von jetzt ab wurde es ernst.
    Auch der junge Bursche, der mit Lenz, nur durch den Stasi-Blondschopf von ihm getrennt, in derselben Reihe saß, lächelte hin und wieder. Offensichtlich fand er diesen Rücktransport der Glatzköpfe erheiternd. Lenz erging es nicht anders: War denn jeder dritte ostdeutsche Bulgarien-Tourist ein potenzieller Republikflüchtling? War Ferienzeit gleich Flüchtlingszeit? Wurde im Sommer alle paar Wochen eine solche Chartermaschine benötigt?
    In einiger Entfernung von der Interflug -Maschine parkten die Flieger anderer Fluggesellschaften. Swissair -, Air France- und Lufthansa -Symbole waren zu erkennen. Hatten die Passagiere dieser Maschinen sie vielleicht beim Einsteigen beobachtet und sich über diese vielen Glatzköpfe gewundert? Und wie wäre es denn, wenn er, Lenz, jetzt in eine dieser Maschinen umsteigen dürfte, um nach Zürich, Paris oder München mitzufliegen anstatt in den Berliner Knast? Nein, keine sehr angenehme Vorstellung! Solange Hannah, Silke und Micha nicht bei ihm waren, wollte er nirgendwohin. Kurz nach dem Start, als unter ihnen nur noch grellweiße Wolken zu sehen waren, wagte Lenz, das Sprechverbot zu missachten. Wie lange der Flug denn dauern werde, fragte er den Stasi-Blondschopf.
    Keine Antwort. Nur ein strafender Blick.
    Er hakte nach: »Sind Sie denn heute Morgen nicht mit derselben Maschine gekommen?«
    »Seien Sie endlich still!«
    »Ich dachte, das Redeverbot gilt nur zwischen Gefangenen.«
    Andere Stasi-Männer wurden aufmerksam, unwillige Blicke trafen Lenz. Da legte er nur noch achselzuckend den Kopf zurück und spürte wieder diesem verschwommenen Gefühl nach, das ihn beherrschte, seit sie ihn aus der Zelle geholt und ihm Hose und Hemd, Schnürsenkel, Uhr und Gürtel zurückgegeben hatten. Wie würde alles weitergehen? Auf was durfte er hoffen? Würde er irgendwann Hannah sprechen dürfen? Würde es eine Gelegenheit geben, die Kinder zu sehen? – Nein! Er durfte nicht zu viel erwarten, sie waren ausgeschert und somit als Feinde erkannt worden. Aber vielleicht würde man ja wenigstens in Hannahs Fall – der Kinder wegen – Milde walten lassen …
    Als die Maschine in Schönefeld landete, dunkelte es bereits. Sie rollte weiter, bis sie weit außerhalb des üblichen Flugbetriebes zum Stillstand kam. Dort warteten bereits mehrere fensterlose, grün gespritzte Barkas -Kleintransporter. Einzeln wurden sie aus der Maschine gewinkt und, nachdem sie ihren Namen genannt hatten, auf die verschiedenen fahrbaren Blechhütten mit den jeweils vier oder fünf beängstigend engen Zellenverschlägen verteilt. Lenz, mit seinen Einsachtzig kein Riese, aber auch kein Zwerg, musste die Knie anziehen und die Arme anwinkeln und die ganze Zeit über nach vorn gebeugt sitzen, um überhaupt in diesen winzigen Transportkäfig hineinzupassen. Links stieß er mit dem Ellenbogen an die Außenwand, rechts an die Tür, die man hinter ihm verriegelt hatte; ein schmales Brett war sein Sitz, um ihn nichts als Dunkelheit.
    Beklemmung überkam ihn. Schon nach wenigen Minuten hatte er das Gefühl, zu wenig Luft zu bekommen. Gab es denn hier überhaupt eine Luftzufuhr? Und was, wenn die mit diesem Gefährt einen Unfall bauten? Wie sollte er dann hier rauskommen?
    Er musste daran denken, wie er im Jahr zuvor, von einer Dienstreise heimkehrend, in Schönefeld gelandet war. Sechs Wochen Indien lagen hinter ihm, Bombay, Delhi, Madras und jede Menge andere Städte hatte er kennen gelernt und bei der Heimkehr, in der Zigarettenpackung, seine sich vom Mund abgesparten Dollar ins Land geschmuggelt, um sie nicht in Ostmark umtauschen zu müssen. Ein Devisenvergehen, typischer Fehltritt aller Dienstreisenden; nicht einmal die überzeugtesten Parteimitglieder waren davor gefeit, auf diese Weise straffällig zu werden. Er aber hatte ein schlechtes

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