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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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in ihm auf und er schämte sich dafür. Diese Freude aber war nicht zu unterdrücken: Es passierte mal wieder etwas mit ihm; er würde mal wieder einen anderen Raum, ein paar andere Möbel zu sehen bekommen; nach all den Selbstgesprächen, Träumen und Spinnereien in der Zelle würde sich ihm wieder ein Gesicht zuwenden …
    Er hoffte das – und warnte sich: Vorsicht, Freundchen! Diese Freude haben sie doch eingeplant, die Genossen Stasi-Psychologen. Genauso wie das gleißend helle Licht beim Empfang, das dich verstören sollte, die zu große Hose, die Puschen, die Desorientierung, die Anonymität der Bewacher und Vernehmer, das elend lange Schmorenlassen in deiner Zelle und der Maschendraht über der Freizelle. Ohne Hintergedanken passiert bei denen nichts; sie wissen, dass du heute Geburtstag hast, wollen dich auf dem falschen Fuß erwischen, mal in dich hineinpieken, sehen, ob du schon gar bist.
    Im Treppenhaus war plötzlich ein weiteres, noch sehr fernes Schlüsselscharren zu hören. Sofort führte der Tempelaffe Lenz in den Zellengang im ersten Stock und schob ihn in einen offensichtlich für solche Fälle unverhoffter Begegnungen frei gehaltenen Verwahrraum. Zwei, drei Minuten musste er warten, dann ging es noch eine Treppe höher und in den Vernehmertrakt mit dem roten Teppich hinein. Jetzt aber konnte er sich denken, dass in diesem Augenblick hinter jeder der Türen rechts und links von ihm vernommen, geleugnet, zugegeben, Reue bekannt oder Mut aufgebracht wurde. Und er? Wie sollte er sich denn nun verhalten?
    Der Tempelaffe führte ihn vor die Tür, vor der er schon einmal gestanden hatte, und auch der Vernehmer, der ihn erwartete, war derselbe. Nur trug der Klassensprecher diesmal Leutnantsuniform. Grinsend wartete er ab, bis Lenz auf dem Häftlingshocker Platz genommen hatte, dann fragte er, als hätten sie sich nur etwa zwei Tage nicht gesehen: »Na? Wie geht’s denn so?«
    »Den Umständen entsprechend – gut!«
    »Freut einen zu hören!«
    Ich glaub dir nicht, sollte das heißen. Ich weiß, wie beschissen dir zumute ist und wie sehr du dich darüber freust, dass endlich wieder Notiz von dir genommen wird. Lenz wandte den Blick ab. Mit Worten zu lügen war einfach, die Augen mitlügen zu lassen viel schwerer.
    Auf dem Tisch vor dem Schreibtisch lag eine bereits geöffnete, aber noch volle Packung Zigaretten, Marke Kabinett . Rauchte der Klassensprecher? Oder hatte er die Stäbchen seinetwegen dort hingelegt?
    »Haben Sie irgendwelche Beschwerden?«
    Das hatte ihn der Sofioter Chef auch gefragt. Lernten sie diese Hotelportiersfragen in der Ausbildung?
    »Ja.«
    »Und welche?«
    »Ich hätt gern was zu lesen. Sie werden doch eine Bibliothek im Haus haben.«
    Ein belustigtes Lachen war die Antwort. »Na, wissen Sie! Sie kooperieren nicht mit uns und sind so unbescheiden, zur Belohnung auch noch Lektüre zu verlangen?«
    Lenz blickte wieder die Zigaretten an. Jetzt eine rauchen, das würde Mut machen.
    »Sonst noch Wünsche?«
    »Mein Stuhlgang lässt mich im Stich. Ob das an der einseitigen Ernährung liegt, weiß ich nicht. Mangelnde Bewegung kann es nicht sein.«
    Auch keine Antwort, wie der Genosse Leutnant sie sich vorgestellt hatte. Schweigend studierte er Lenz, bis der sich entschloss, ihm einen seiner eventuellen Trümpfe aus der Hand zu nehmen: »Übrigens, ich hab heut Geburtstag. Wenn Sie wollen, dürfen Sie mir gratulieren.«
    »Dazu hab ich ja vielleicht nächstes Jahr noch Zeit.«
    Ein Punkt für den Leutnant. Er machte ein zufriedenes Gesicht und schob die Zigaretten etwas näher in Lenz’ Richtung. »Möchten Sie eine?«
    »Wenn das keine Bestechung sein soll – gerne.« Lenz lächelte, damit klar wurde, dass er nur scherzen wollte, rückte auf seinem Stuhl etwas vor und nahm die Packung betont ungierig in die Hand. »Sie auch?«
    »Danke! Ich rauche nicht.«
    »Also haben Sie die Packung meinetwegen da hingelegt? Vielleicht, um mit mir Geburtstag zu feiern?«
    »Sagen wir mal so: um die Stimmung etwas zu entkrampfen.«
    Lenz zündete sich die Zigarette mit den ebenfalls bereitliegenden Zündhölzern an, nahm ein paar tiefe Züge und nickte verständnisvoll. »Sie haben Recht, diese Qualmerei ist eine Selbstverstümmelung. Irgendwann, in besseren Zeiten, werd ich auch damit aufhören.«
    »Das kann aber lange dauern.«
    »Was lange währt, wird meistens gut.« Wieder ein Lächeln. Er war ja auch für Entkrampfen, hatte er doch längst eingesehen, dass es hier kein Gespräch von Gleich

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