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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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zumute. Da blickte er nur lange in den Spiegel. Ein hagerer, blasser Mann mit viel zu langen Haaren und zu großen Augen blickte ihm daraus entgegen. Dass sein Haar inzwischen gewachsen war – kein Wunder! Doch wovon war es so dunkel geworden? Lag es allein daran, dass er so lange nicht in die Sonne gekommen war?
    Die Klappe ging, der Knurrhahn streckte die Hand in die Zelle, und Lenz übergab ihm die Rasierutensilien, damit sie in die nächste Zelle weitergereicht werden konnten. Gleich darauf startete er seinen ersten Marathonlauf.
    Sicher würde Hannah heute viel an ihn denken, doch würde sie den Manne vor sich sehen, den sie in Erinnerung hatte, nicht den, der ihm soeben aus dem Handspiegel entgegengeblickt hatte. Und die Kinder? Vielleicht würden sie ihn, dürften sie auf Besuch kommen, nicht einmal mehr wiedererkennen.
    Acht kurze Schritte hin, acht zurück. Was sollte er mit diesem Tag beginnen? Resümee ziehen? Sich die Rechnung präsentieren? Soll und Haben nach neunundzwanzig Jahren? Danke! Lieber nicht! Da konnte nur ein dickes Minuszeichen unter dem Strich stehen: Alles falsch gemacht, liebes Geburtstagskind, oder wärst du sonst hier?
    Mittags gab es Königsberger Klopse. Nicht schlecht, aber auch nicht gut. Nach dem Mittagessen jedoch – eine Überraschung: Der Falke kam, um ihn zum Friseur zu führen! Ein Geburtstagsgeschenk des Hauses? Egal, jede Abwechslung war ein Geschenk!
    Der Friseur, ein schmaler, schon etwas älterer, trockenhäutiger Mann mit heller Brille, der seine Arbeit im Duschraum verrichtete, trug Uniform unter dem weißen Kittel, war also kein Häftling. Das hätte auch nicht gepasst zum Sicherheitssystem der Allgewaltigen dieses Gefängnisses. Brauchst du gar nicht erst versuchen, ein Gespräch anzuknüpfen; der Rüffel ist abzusehen.
    Zurück in der Zelle verkündete Lenz dem Falken, bevor der ihn wieder einschließen konnte, dass er Abführtabletten benötigte. »Seit ich hier bin, hab ich keinen Stuhlgang.«
    »Warum ham Se ’n das nich gleich gesagt? Sie war’n doch eben beim Sani.«
    Der Friseur war auch der Sanitäter? Darauf hätte einer kommen sollen. »Das nächste Mal bin ich klüger. Die Tabletten aber brauche ich dringend.«
    »Ich sag Bescheid.« Die Tür flog zu, der Schlüssel, die Riegel.
    Lenz tastete sein offenbar sehr kurz geschnittenes Haar ab und setzte zu einem zweiten Geburtstagsmarathon an. Schon nach wenigen Schritten wurde erneut die Zellentür geöffnet: Der Tempelaffe, ein junger Feldwebel, der sich wie ein Priester bewegte und auch so sprach, als verkünde er stets und ständig Gottes Wort, winkte zur Freistunde. Es ging in eine der drei mal fünf Meter großen, oben offenen, jedoch mit Maschendraht überzogenen Freiluftzellen, die sich an der Rückseite des Gefängnisses befanden. Auch dieser Maschendraht, das hatte Lenz inzwischen begriffen, hatte keine andere Funktion, als psychischen Druck auszuüben. Die Mauern, die die Häftlinge hier umgaben, waren ja drei Meter hoch; wer wollte an diesen glatten Wänden emporklettern? Oder befürchtete man etwa, ein Hubschrauber könnte herangeschwirrt kommen, um ihn oder einen der anderen Gefangenen zu befreien? Das würde schon der Wachposten mit der Maschinenpistole verhindern, der da auf dem eisernen Laufsteg über den Freiluftzellen auf und ab patrouillierte und auf so kurze Entfernung ja wohl treffen würde. Nein, dieser Psycho-Maschendraht sollte nur eines bewirken: dass die Untersuchungsgefangenen auch hier keinen Fleck ungefilterten Himmels zu sehen bekamen! Das Gefühl des totalen Ausgeliefertseins, keine Sekunde sollte es sie verlassen.
    Auch im Nachbarkäfig drehte einer seine Runden. Laufschritte drangen zu Lenz hin. Ach, wie gern hätte er mal mit jemandem gesprochen! Aber natürlich, die Verwahrraumregeln, sie galten auch hier. So packte er nur seine zu große Hose fester und setzte sich ebenfalls in Trab. Einmal am Tag so richtig außer Atem kommen, auch in der Hoffnung, den Darm anzuregen, wozu sonst sollte dieser Menschenzwinger gut sein?
    Er wurde immer schneller, bis er wie ein Brummkreisel in dem Zementstall herumjagte. An diesem schönen, leicht dunstigen Frühherbsttag jedoch blieben ihm nur etwa zehn Minuten Freiluftveranstaltung, dann wurde er schon wieder geholt. Er wollte protestieren, bemerkte aber bald, dass es nicht in seine Zelle zurückging, und lief nur noch neugierig hinter dem Tempelaffen her. Wo ging’s denn hin? Zu einem Geburtstagsempfang? Eine Art unruhiger Freude stieg

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