Krokodil im Nacken
das Papier weg. »Und dieses neue Beatmungsgerät von der Firma Dräger in Lübeck? Man hat es mir angeboten. Leider ist es für unsere Kunden viel zu teuer. Ein gleich gutes, preiswerteres Gerät, das hätte Chancen.«
»Haben wir!« Lenz legte ihm noch einen Prospekt vor, Wang Li studierte ihn, hörte sich Lenz’ Erklärungen an und legte auch diesen Prospekt beiseite.
»Die Firma Äskulap …«
»Haben wir!« Lenz blieb ganz ruhig. Mit dieser Strategie würde Wang Li ihn nicht aus seinem Tante-Emma-Laden treiben. War ja keine Neuigkeit, dass die bundesrepublikanische Konkurrenz ihnen entwicklungstechnisch um mehrere Jahre voraus war. Wahrscheinlich würden sie niemals deren Standard erreichen, so wie bei ihnen die Wirtschaft organisiert war. Aber was hatte das Wang Li zu kümmern? Wang Li kaufte bei ihnen, weil sie billiger waren; es war ihm höchst egal, dass er in seinem Laden nicht den neuesten Stand der Technik repräsentierte. Mit Billigprodukten war oft mehr zu verdienen als mit technischen Spitzenleistungen.
Als Wang Li keine Neuentwicklungen mehr einfielen, nach denen er fragen konnte, verstummte er. Lenz jedoch legte immer weitere Prospekte vor ihn hin und schwärmte langatmig von der intermed -Produktpalette. Alles sehr einfach in der Handhabung, aber außerordentlich funktionstüchtig; genau das Richtige für Häuser, die nicht im Geld schwammen.
Kunden kamen, Kunden gingen, die Mittagshitze hatte ihren Höhepunkt erreicht. Wang Li fragte das dritte oder vierte Mal, ob man noch einen Tee mochte, und Lenz und Gruber, die in diesem Laden ohne Klimaanlage längst schweißgebadet waren, nickten, obwohl ihre Blasen ihnen nun schon zu schaffen machten. Falls Wang Li, der bestimmt bedauernd verneinen würde, wenn sie nach einer Toilette fragten, sie auf diese Weise loswerden wollte, sollte er sich geschnitten haben.
Die Rettung nahte, als Lenz sich mal wieder eine Zigarette anzündete und mitbekam, wie Wang Li das Gesicht verzog. Hasste er Tabaksqualm? Sofort bot Lenz auch Gruber eine Zigarette an. Der wollte erstaunt ablehnen – als ehemaliger Leistungssportler war er natürlich Nichtraucher –, Lenz’ drohender Blick jedoch ließ ihn etwas erahnen. Also paffte er mit. Und blies den ausgestoßenen Rauch genau wie Lenz immer schön in Wang Lis Richtung.
»So!«, begann Lenz dann, sich gemütlich in seinen Stuhl zurücklehnend. »Jetzt müssen wir noch mal auf die noch offenen Rechnungen zu sprechen kommen.« Und er wiederholte mit fast den gleichen Worten, was er gut anderthalb Stunden zuvor schon gesagt hatte, mit dem einzigen Unterschied, dass Gruber und er dabei ihre Zigaretten nicht mehr ausgehen ließen. Bald war der kleine Laden blau und die beiden indonesischen Angestellten blickten genauso empört wie ihr schlitzohriger Chef.
Am Ende seines kleinen Vortrags betonte Lenz dann nochmals, dass weitere Warenlieferungen an Wang Li nicht abgehen würden, wenn diese Rechnungen nicht noch während ihrer Anwesenheit in Jakarta beglichen würden. Weil sie ja sonst davon ausgehen müssten, dass er in ernsthaften Zahlungsschwierigkeiten sei. Ein Pokerspiel, denn Lenz durfte um Himmels willen keinen mit Devisen zahlenden Kunden verlieren; eine feste Regel im Außenhandel, auch wenn der umworbene Kunde in Wahrheit gar kein »zahlender« Kunde war. In der Statistik war Umsatz Umsatz; unerfüllte Forderungen waren eine ganz andere Rubrik.
Wang Li sah seinen Karton mit den Reklamationen an, und Lenz erkannte, dass er den großen Zeh schon in der Tür hatte. Selbstverständlich, lenkte er ein, würde er, nachdem die Rechnungen bezahlt waren, dafür sorgen, dass die fehlerhafte Ware sofort ersetzt würde.
Wang Li sah Lenz an, sah Gruber an. Als sie noch mal heftig an ihren Zigaretten zogen, huschte er aus dem Raum. Wieder zurück, hielt er ein dickes Bündel Dollarnoten in der Hand.
Lenz glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Dass Wang Li bar zahlen würde, damit hatte er nicht gerechnet. Doch ließ er sich seine Überraschung nicht anmerken. Gemeinsam mit Wang Li ging er Rechnung für Rechnung durch, bis sie bei einem offenen Gesamtbetrag von etwa zwanzigtausend amerikanischen Dollar angelangt waren, die der dabei immer kleiner werdende Chinese schließlich vor ihn hinblätterte. Zwanzigtausend Dollar – das waren etwa achtzigtausend Deutsche Mark. In DDR-Mark genauso viele. Doch das war ja nur der offizielle, nominelle Wert, in Wahrheit handelte es sich bei diesen Dollarnoten um einen Gegenwert
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