Krokodil im Nacken
ließ er nicht gelten. Er wusste: War er erst wieder hinter der Berliner Mauer verschwunden, war für den zahlungsunwilligen Partner die Gefahr vorbei. Briefe aus Berlin kamen zu den Akten oder galten als nicht erhalten. Seine Hartnäckigkeit – alle drei Tage kam er erneut vorbei, um über das gleiche Thema zu reden – blieb nicht ergebnislos. Irgendwann zeigte man ihm die Belege der inzwischen vorgenommenen Überweisungen und grinste ihm beim Abschied vertraulich zu: Da haben sie uns einen hergeschickt! Zwar klingt sein Englisch ziemlich abenteuerlich, abschütteln aber lässt der sich nicht.
Höhepunkt des Schuldeneintreibens war der Besuch bei Wang Li, einem kleinen verhuschten Chinesen mit schlauem Gesicht. Der zerknittert wirkende Mann, in viel zu großer dunkler Hose und – trotz der Hitze – langärmeligem weißem Hemd, hätte in jedem Hollywood-Film den geheimnisumwitterten, mit finsteren Mächten paktierenden Chinamann abgeben können. Seine Firma, die beachtenswerte Umsätze tätigte, wie Lenz in Erfahrung gebracht hatte, bestand nur aus einem kleinen, mit allerlei medizinischen Geräten und Instrumenten voll gestopften Laden und einer sich daran anschließenden größeren Lagerhalle. Als er Lenz und Gruber begrüßte, verneigte Wang Li sich vor Ehrerbietung fast bis zum Boden und fand viele gute Worte für die langjährige, fruchtbare Zusammenarbeit mit intermed . Lenz wappnete sich mit Geduld. Er hatte inzwischen begriffen, dass chinesische Geschäftsleute stets erst am Schluss eines Gespräches zur Sache kamen. Wenn man schon müde geworden war und sich innerlich längst aus dem Palaver verabschiedet hatte, legten sie los; in der Hoffnung, dann leichter ein für sie vorteilhaftes Gesprächsergebnis zu erzielen.
Auch die auf Europäer übertrieben wirkende Höflichkeit der chinesischen Handelsleute wusste Lenz inzwischen richtig zu deuten. Gleich nach dem blumig vor ihm ausgebreiteten Positiven würde das Negative kommen. Und richtig, leider gebe es aber auch immer wieder Reklamationen, erklärte Wang Li, als er seine Lobeshymne beendet hatte, mit bekümmertem Gesicht und winkte einen seiner beiden demutsvoll im Hintergrund wartenden indonesischen Angestellten heran, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Der, ebenfalls schon ein älterer Mann, verschwand im Lager und brachte einen offenen Karton mit. Lenz erkannte ein paar verstaubte Spritzen und angerostete chirurgische Instrumente und schob den Karton ohne nähere Begutachtung wieder vor Wang Li hin. Er habe auch Reklamationen, erklärte er lächelnd. Und damit rückte er die für sie bereitgestellten Stühle etwas näher an den Ladentisch und blätterte Wang Li alle noch unbezahlten Rechnungen vor. Der spielte den Überraschten, ließ sich ebenfalls einen Stuhl und Akten bringen, wühlte endlos lange in den Papieren herum und erinnerte sich schließlich: Ach ja, die schlechte Qualität der aus Ostdeutschland gelieferten Waren sei schuld! Deshalb würden so viele seiner Schuldner nicht zahlen. Und konnte er denn zahlen, wenn man ihn auf offenen Rechnungen sitzen ließ? Und damit schob er den Karton erneut vor Lenz hin.
Lenz legte seine offenen Rechnungen auf den Karton und steckte sich eine Zigarette an. Er hatte gewusst, dass es nicht leicht werden würde. Wang Lis Schulden waren Legende bei intermed ; es gab Zahlungsziele, die schon um sieben, acht Jahre überschritten waren. Lenz’ Vorgänger, der – zusammen mit Gruber – fünf Jahre zuvor sein Glück bei Wang Li versucht hatte, war mit leeren Händen heimgekehrt.
Kunden betraten das Geschäft, bemerkten die beiden Ausländer und verneigten sich höflich. Lenz und Gruber auf ihren Stühlen nickten jedes Mal freundlich zurück. Sie hatten sich vorgenommen auszuhalten, und wenn sie diesen Wang Li bis zum frühen Morgen belagern mussten.
Wang Li schien so etwas zu ahnen. Er zischte seinen beiden Angestellten irgendwas Chinesisch-Indonesisches zu, damit sie sich um die Kunden kümmerten, dann fragte er, um vom Thema abzulenken, nach neuen Produkten. Da gebe es doch dieses neue Röntgengerät von der Firma Siemens – »berühmte deutsche Firma, qualitätsmäßig ganz oben stehend, o ja, o ja!« –, ob intermed nicht Ähnliches im Programm habe?
»Haben wir«, log Lenz und legte ihm einen Prospekt vor. Noch nie hatte Wang Li mit Röntgengeräten gehandelt, er hätte gar keinen Kundendienst dafür leisten können.
Wang Li studierte den Prospekt, nickte zu Lenz knappen Erläuterungen und legte
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