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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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von mindestens vierhunderttausend Ostmark. Für die Hosentasche nicht mehr zu akzeptieren. Lenz steckte die Dollars dennoch ein – was man hat, das hat man – und beugte sich danach gemeinsam mit Gruber über Wang Lis Karton, der sich beim näheren Hinsehen als ein Sammelsurium von Spritzen, Kanülen und chirurgischen Instrumenten entpuppte, die nur zu einem kleinen Teil von intermed geliefert worden waren. Fehlerhafte Billigprodukte aller Herren Länder sollten ihnen da untergeschoben werden. Gruber sortierte aus, was sie betraf, und Lenz verlangte einen schriftlichen Reklamationsbericht und Rücksendung der nicht ordnungsgemäß gelieferten Ware.
    Wang Li zog eine Schnute. Nun fühlte er sich endgültig über den Tisch gezogen. Dennoch gab er Lenz einen neuen Auftrag mit. So günstig wie die Ostdeutschen lieferte sonst niemand – und wann würden diese nikotinsüchtigen Schuldeneintreiber denn das nächste Mal abkassieren kommen? In fünf Jahren, in zehn? Herrliche Zahlungsziele!
    In ihrer Freizeit zogen Lenz und Gruber viel durch die Stadt. Auch durch die Armenviertel. Gruber ging mit, weil es für Lenz allein zu gefährlich gewesen wäre. Doch ging er stets nur unter Protest mit und unter der Bedingung, dass sie keinen Fotoapparat mitnahmen. So eine Kamera habe schon manch einem das Leben gekostet.
    Lenz kannte das Risiko, doch war er neugierig. Dass Menschen so leben mussten! So viel Dreck, so viel Elend hatte er noch nie gesehen. Kinder, die verkrüppelt worden waren, damit sie beim Betteln mehr Mitleid erweckten; neun-, zehn-, elfjährige Jungen und Mädchen, die sich Männern anboten und von denen viele früh an Geschlechtskrankheiten sterben würden; Jugendliche, die für ein paar Rupiah zu Mördern wurden. Wer hatte diese Armut zu verantworten?
    Einmal, Lenz und Gruber waren gerade aus dem Wagen gestiegen, wurden sie von einem Jungen angesprochen, etwa dreizehn Jahre alt, schmutzig, zerrissene Kleidung, lange verfilzte Haare. Auf seinem Kopf saß ein Äffchen; als der Junge die Hand ausstreckte, streckte der Affe seine Pfote aus. Der Bettelspruch des Jungen: »No Mama, no Papa, no Television.«
    Über ihren Chauffeur stellte Lenz dem Jungen ein paar Fragen und erfuhr, dass seine kleine Schwester erst vor ein paar Tagen an einer nicht behandelten Krankheit gestorben war und der ältere Bruder wegen Mordes im Gefängnis saß. Das konnte eine frei erfundene Geschichte sein, um ein paar Rupiah mehr herauszuholen. Lenz jedoch nahm dem Jungen seine Geschichte ab; und war sie erfunden, so war sie zumindest direkt aus einem elenden Leben gegriffen. Bevor er den Jungen dann weiterziehen ließ, steckte er ihm so viele Rupiah-Scheine zu, dass ihr Chauffeur neidisch kuckte und Gruber leise protestierte.
    In der Botschaft hatte man sich an die unsägliche Armut in diesem Land bereits gewöhnt. Am besten gar nicht hinsehen, hieß es dort, du kannst ja doch nichts ändern. Lenz war anderer Ansicht: Machte sich, wer wegsah, denn nicht mitschuldig?
    Ansonsten freute man sich in der Botschaft, mal wieder Gäste aus der Heimat zu haben. Wir aus der DDR, sind wir nicht alle eine große Familie? Die Botschaften der nichtsozialistischen Länder waren für die Diplomaten und Außenhändler verbotene Zone und der Kontakt zu denen befreundeter Nationen hielt sich in engen Grenzen; so schmorte man mehr oder weniger im eigenen Saft: Besuchst du mich, besuch ich dich. Der Lagereffekt aber deprimierte, jedes neue Gesicht war hochwillkommen.
    Auf Empfehlung machten Lenz und Gruber einen Wochenendtrip nach Samudra Beach. Fahrt in ein Tropenparadies mit Palmen, Meer und kalten Getränken am Swimmingpool. Es ging über Dörfer, zwischen hügeligen Reisfeldern hindurch und über hohe Bergpässe hinweg, und ihr rasanter Chauffeur fuhr wie gehetzt, was den immer wieder ängstlich in die verschiedenen Abgründe starrenden Gruber dazu brachte, Lenz einzugestehen, dass er ein krankes Herz hatte. »Das geht vielen ehemaligen Leistungssportlern so. Sag ihm, er soll langsamer fahren.«
    Sie badeten im Ozean, stiegen in einen Vulkan hinab, gingen chinesisch essen und fühlten sich als Auserwählte des Schicksals. Schade nur, dass ihre Frauen nicht dabei waren!
    Zurück in Jakarta warteten neue Geschäftsgespräche auf sie. Und natürlich zog es Lenz weiter durch die Straßen. Hier zu überleben, dazu gehörten Stärke, Mut und Witz; wer da keinen Respekt gewann!
    Auch an der westdeutschen Botschaft kamen sie hin und wieder vorüber. Nicht ein

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