Krokodil im Nacken
Arbeit zu machen. Drittens: Wir wollen alles wissen.«
Ja, gab Lenz da zu, sie hätten eine Flucht geplant, ja, sie wollten mit aus Westdeutschland nach Bulgarien gebrachten Pässen in die Türkei und von dort nach Frankfurt am Main weiterreisen. Schließlich sei seine Frau ja mal von dort gekommen. Nun wollte sie in ihre Heimat, zu ihrer Familie zurück; er könne daran beim besten Willen nichts Verwerfliches erkennen. Es hätte aber auch ohne ihre Verhaftung gar kein Fluchtversuch stattgefunden, denn auf der langen Fahrt nach Burgas hätten seine Frau und er immer wieder über ihr Vorhaben gesprochen und es schließlich aufgegeben. Einfach, weil sie Angst bekommen hätten. Nur noch Ferien hätten sie in Bulgarien machen wollen; etwas anderes könne er beim besten Willen nicht aussagen.
Der Leutnant schrieb eifrig mit, machte dann aber ein enttäuschtes Gesicht. »Die Geschichte kennen wir schon. Damit hatte Ihre Frau es auch versucht.«
»Na und?«, erregte sich Lenz. »Ist doch ganz egal, ob Sie uns glauben oder nicht. Weisen Sie uns den ›Fluchtversuch‹ doch bitte schön erst mal nach. Haben Sie uns an der Grenze festgenommen? Woher wollen Sie wissen, wie wir letztendlich entschieden hätten?«
»Unwichtig, wo und wann Sie was entschieden haben. Hat Ihnen der Haftrichter das nicht bereits gesagt? Jede Vorbereitung und jeder Versuch, eine Straftat zu begehen, sind strafbar. Als Sie sich mit Ihren erschlichenen Reisedokumenten zum Bahnhof begaben, hatten Sie bereits den zweiten Schritt zu viel getan.«
»Wer hat denn hier was ›erschlichen‹?«
»Sie natürlich! Sie hatten doch gar nicht vor, am Schwarzen Meer Urlaub zu machen, wie Sie auf dem Reisebüro angaben. Sie hatten sich die Reisepapiere unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen.«
Ein Weilchen starrte Lenz den Leutnant nur an, dann schüttelte er den Kopf. »Und damit hatten wir uns bereits strafbar gemacht? Egal, wie viele Kilometer von der Grenze entfernt wir noch waren? Egal, wie wir uns später entschieden haben?«
»So ist es.«
»Und wenn wir von dieser Flucht nur geträumt hätten, würde man uns das wohl auch noch vorwerfen!«
Der Leutnant grinste. »Wir wissen, dass die Geschichte von der Aufgabe all ihrer Fluchtabsichten Ihr ›Rettungsanker‹ sein sollte. Ihre Frau hat das längst zugegeben. Also verplempern wir damit nicht unsere Zeit!«
Das war kein bloßes Auf-den-Busch-Geklopfe, das Wort vom Rettungsanker konnte er nur von Hannah haben. Ein Beweis dafür, dass sie tatsächlich zugegeben hatte, dass sie, falls Fränzes Pässe ihren Erwartungen entsprachen, nicht heimkehren wollten … Lenz zog noch mal an der längst zur Kleinstkippe geschrumpften Zigarette, dann drückte er sie im Aschenbecher aus und gab ebenfalls zu, dass sie keinen Moment lang von ihren Fluchtplänen Abstand genommen hatten. »Wir sahen keine andere Möglichkeit. Hätte es eine legale Ausreisemöglichkeit gegeben, wäre eine solche Reise nicht notwendig geworden.«
»Sie geben also zu, bewusst gegen die Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik verstoßen zu haben?«
Lenz holte tief Luft. »Wenn ein Staat Gesetze erlässt, die mit den allgemeinen Menschenrechten nicht übereinstimmen, ist ein solcher Verstoß meines Erachtens kein Verbrechen.« Den Satz hatte er sich während eines seiner Marathonläufe zurechtgelegt, endlich konnte er ihn anbringen.
»Das heißt auf Deutsch, Sie negieren die sozialistische Gesetzlichkeit?«
»Nein. Ich bezog mich allein auf die nicht gegebenen Ausreisemöglichkeiten.« Er musste vorsichtig sein, durfte nicht zu sehr auf Konfrontationskurs gehen; er sprach ja auch für Hannah und die Kinder.
Der Leutnant machte sich Notizen. Lenz sah ihm zu, bis Wut in ihm aufstieg. »Wissen Sie jetzt genug, um mir sagen zu können, wo meine Kinder sich befinden?«
»Sie sind in einem Kinderheim. Es geht ihnen gut.«
Lenz spürte, wie sich alles in ihm zusammenzog.
Der Klassensprecher fuhr fort: »Wir hatten die Kinder zu Ihrem Bruder gebracht. Ihre Schwägerin und er konnten sie leider nicht behalten, sind ja beide berufstätig.«
»Auf welche Weise haben Sie sie denn aus Bulgarien zurückgeholt?«
»Mit der Interflug .«
»Und wie … ich meine, wie haben Silke und Michael das alles überstanden?«
»Interessiert Sie das wirklich?«
Vorsicht! Nicht aufregen, Manne! Das ist doch wieder nur so ein Psychotrick. Der Genosse Leutnant »bearbeitet« dich, will dein Selbstwertgefühl auf null runterschrauben. »Bei
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