Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
Vom Netzwerk:
Ihrer Sache beschäftigt und bin mit Herrn Dr. Vogel übereingekommen, dass es nur darum gehen kann, ein möglichst niederes Strafmaß für Sie herauszuholen. Der Tatbestand ist ja klar.«
    Der Tatbestand war klar! Alles war klar! Wer den Finger an die Nase legte, wollte popeln, was denn sonst?
    Lenz: »Für uns geht es nur um eines: Wir wollen möglichst bald mit unseren Kindern in die Bundesrepublik ausreisen dürfen.«
    Dr. Rose rückte an seiner bunt schillernden Fliege. »Darüber wird heute nicht verhandelt. Heute geht es um das Strafmaß.«
    »Das Strafmaß?«, höhnte Lenz. »Aber das steht doch längst fest. Hier geht’s doch um keine Urteilsfindung mehr, hier geht’s nur noch um die Urteilsverkündung.«
    »Wenn Sie meinen!« Nun war er beleidigt, der Dr. Rose, und hätte wohl am liebsten seine Tasche genommen und wäre gegangen.
    Hannah, die tapfere Hannah, die ja noch immer nichts von Hajo Hahnes hoffnungsvollen Geschichten wusste und deshalb doppelt mutig sein musste, besänftigte ihn: »Nehmen Sie meinem Mann seine Worte nicht übel. Ein Gerichtsverfahren, wie es sein sollte, wird das hier ja kaum werden.«
    Dr. Rose setzte sein liebenswürdigstes Lächeln auf. »Wir wollen versuchen, das Beste daraus zu machen.«
    Das Beste an dem Ganzen wird dein Honorar sein, dachte Lenz und hätte es gern auch ausgesprochen. Hannahs Blick hielt ihn davor zurück. Lass uns das Ganze still ertragen, baten ihre Augen. Es hat keinen Sinn aufzubegehren. Sagst du ihnen, wie du über sie denkst, rächen sie sich – an uns und an den Kindern.
    Das Hohe Gericht betrat den Saal.
    Der Richter: ein Durchschnittsgesicht, Typ treuer Kneipengast, der es nie bis an den Stammtisch schafft; sechzig, mager, schütteres graues Haar, Lesebrille. Wie Dr. Rose und die Staatsanwältin trug auch er keinen Talar, über seinem karierten Hemd hing ein gestreifter Schlips. Hätte er eine abgewetzte Ledertasche auf den Tisch gelegt und eine verbeulte Blechdose mit belegten Broten und eine nicht minder lädierte Vorkriegsthermosflasche neben seinen Akten aufgebaut, Lenz hätte sich nicht gewundert.
    Die Schöffen: eine dickliche, ältere, sehr bieder wirkende Frau, die offensichtlich stolz darauf war, Recht sprechen zu dürfen. Mit mütterlichem Ernst blickte sie die Angeklagten an. Ihr männliches Gegenstück – ein junger Mann, der schon jetzt ein Gesicht machte, als bedauerte er, nicht in seinem Büro zu sitzen – schien von Beruf Buchhalter oder Registrator zu sein. Der Aktenstaub lag ihm wie Schuppen auf den Schultern.
    Die Staatsanwältin: eine noch junge Frau, vielleicht fünfunddreißig. Dunkles Kostüm, weiße Bluse, blonde Hochfrisur, sehr blass, schmaler, verkniffen wirkender Mund, graue Augen, feindseliger Blick. Eine Zicke! Eine Giftspritze! Das Klischeebild der bösen Staatsanwältin. Da half nur tief durchatmen.
    Die Protokollführerin: ein sympathisches junges Mädchen. Mich geht die ganze Sache nichts an, besagte ihr Blick. Mache meinen Dienst und werde dafür bezahlt.
    Die Stimme des Richters erinnerte an das Knarren eines schon sehr morschen Baumes. Lustlos verlas er die Anklageschrift, dieser Genosse Im-Namen-des-Volkes, noch lustloser begann er mit den Vernehmungen zur Person und rief zuerst Hannah vor seinen Tisch.
    Sie beantwortete alle Fragen mit klarer, nur selten schwankender Stimme.
    Lenz studierte die Staatsanwältin. Wie sie Hannah ins Visier nahm! War das nur Empörung oder schon Hass? Verletzte es sie persönlich, dass zwei noch so junge Leute ihren sozialistischen Staat verlassen wollten?
    Der Richter blickte kaum auf, während er Hannah befragte, wirkte noch immer gelangweilt. Nur über H.H.M.s West-Ost-West-Wanderung machte er ein paar ironische Bemerkungen. Der Mann nahm ein Leben durch, dreißig Jahre, die ihn offensichtlich nicht sehr interessierten. Wozu auch? Ging ja alles seinen sozialistischen Gang.
    Nein, er war kein geifernder Inquisitor, dieser kariert-gestreifte Rechtsprecher, er war aber auch kein Papa Gnädig; tat, was von ihm verlangt wurde. Und zeigte er doch mal eine Regung, schien es ihn zu ärgern, dass er diese eigentlich gar nicht so unsympathische Hannah Lenz zu einer Freiheitsstrafe würde verurteilen müssen: Wie konntest du nur so dumm sein, Mädchen! Bist auf die Reaktion reingefallen, weißt einfach nicht, was gut für dich ist. Nur wer keine Augen im Kopf hat, kann so stolpern.
    Als die Protokollführerin hörte, welche Position Hannah im Außenhandel innehatte, blickte sie kurz

Weitere Kostenlose Bücher