Krokodil im Nacken
hatten. Er musste grinsen. Vielleicht hätten sie doch lieber eine andere Kneipe auswählen sollen.
Hannah trat aus dem Wagen. Gott sei Dank weder in Handschellen noch in irgendwelchen von der Stasi geliehenen Klamotten. Sie trug den hellen Hosenanzug, den Fränze ihr mal mitgebracht hatte, und hatte ihre Haare bearbeiten dürfen. Vor Erregung war ihr Gesicht gerötet und so sah sie trotz der Zellenblässe richtig gut aus.
Er lächelte ihr zu und sie wollte zurücklächeln, der Anblick seiner Handschellen ließ sie erschrecken. Er bewegte ein wenig die Hände: »Kintopp. James Cagney. Staatsfeind Nr. 1 .«
»Seien Se still!« Einer der sie begleitenden Stasi-Männer trat zwischen sie, aber Hannah lächelte nun doch.
Sie betraten das Gebäude durch einen Seiteneingang. Stasi-Männer mit Hannah in ihrer Mitte gingen vorweg, Lenz, ebenfalls rechts und links eskortiert, durfte folgen. Es ging mehrere Treppen hoch und einige Flure entlang; links lagen die Fenster zur Straße, rechts die Türen zu den Verhandlungssälen. In der 10. Klasse hatte Lenz mal an einer Gerichtsverhandlung teilnehmen dürfen. Es ging um einen Trickdieb und war eine eher lustige Angelegenheit. Von diesem Besuch her war ihm das riesige Treppenhaus im Haupteingangsbereich in Erinnerung geblieben; sehr hohe Räume mit viel Stuck an den Säulen und der gewölbten Decke. Wie klein sich da jeder Täter vorkommen musste bei so viel erdrückender Gerechtigkeit, hatte er damals gedacht. Nun war alles ganz anders. Er fühlte sich nicht klein. Zwar würden sie Hannah und ihn verurteilen, aber nicht, weil sie ein Verbrechen begangen hatten, sondern allein weil sie an den täglichen Verbrechen ihrer Richter nicht mehr teilhaben wollten.
Sie wurden in einen Raum mit mehreren Holzverschlägen geführt. Jeder der kleinen quadratischen Abstellräume für Menschen besaß eine hölzerne, in den Wänden verankerte Sitzbank, ansonsten befand sich nichts darin. Lenz durfte gleich im ersten der Verschläge Platz nehmen, Hannah in einem zwei, drei Türen weit entfernten. Die Handschellen wurden ihm abgenommen, die Türen zugeschlossen. Er hustete aufmunternd. Wir werden auch das überstehen, wollte er Hannah damit zu verstehen geben, und: In Wahrheit können sie uns gar nichts tun. Die positiven Helden in dieser Theateraufführung sind wir.
Kein sehr imposanter Gerichtssaal! Kein Stuck, keine verschnörkelten Holzbarrieren, ein sachlich-karg eingerichteter Raum. An der Stirnseite, unter der obligatorischen, farbigen Honecker-Fotografie, der schmucklose Richtertisch, links davon, gleich neben der Tür, das Pult der Staatsanwaltschaft. Rechts vom Richtertisch die Bank der Angeklagten, bewacht von zwei uniformierten Justizbeamten, hinter der Arme-Sünder-Bank das Stühlchen für den Verteidiger. Dem Richtertisch gegenüber sieben, acht leere Zuhörerbänke. Die Verhandlung war nicht öffentlich. Niemand sollte mitzählen können, wie viele Fluchtversuche da Woche für Woche verhandelt wurden; potentielle Nachfolgetäter sollten keinen Anschauungsunterricht über die Fehler ihrer Vorgänger erhalten.
Die letzte Reihe der Zuhörerbänke füllte sich dann aber doch noch – mit der Stasi- Wachmannschaft, die sie herbegleitet hatte. Für die Komplizen des Gerichts galt der Ausschluss der Öffentlichkeit natürlich nicht. Eine junge, südländisch ausschauende Frau mit Oberlippenbärtchen, die sicher mitgekommen war, um Hannah zur Toilette begleiten zu können, machte ein Gesicht, als wollte sie die Angeklagten am liebsten ohne Gerichtsverhandlung erschießen. Lenz auf der Anklagebank grinste belustigt: Für diese Donna Rosita de Esperanza waren Hannah und er wohl so etwas wie Bonnie und Clyde?
Die beiden Angeklagten durften nebeneinander sitzen, aber nicht miteinander reden. Nur anschauen durften sie sich und einander zulächeln. Wie hätte man ihnen dieses Lächeln denn verbieten sollen?
Lenz hatte geglaubt, nun endlich diesen berühmten Dr. Vogel kennen lernen zu dürfen – mal wieder ein Irrtum! Als Hannah und er in den Gerichtssaal geführt worden waren, war ein entenbrüstiger, modisch gekleideter älterer Herr mit Toupet auf sie zugeeilt gekommen und hatte sich ihnen als Dr. Rose, Karlhans Rose, vorgestellt. Er sei im Auftrage Dr. Vogels hier. Dr. Vogel sei leider verhindert, er habe Vollmacht, für sie tätig zu werden.
Ein Auftritt, der Lenz erheiterte; was diesen Dr. Rose sehr irritierte. In verschwörerischem Tonfall flüsterte er ihnen zu: »Hab mich mit
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