Krokodil im Nacken
auf. Wollte sie sich bei ihr bewerben? Doch dann schien ihr einzufallen, dass ja nur eine Angeklagte vor ihr stand, eine der vielen, die sie Tag für Tag kennen lernte, und sie beugte sich wieder über ihren Stenoblock.
Schöffe und Schöffin waren ganz Auge und Ohr, fragten aber nichts. Nur die »Mutti« hatte manchmal »phonetisch« etwas nicht verstanden.
Die Stasi-Mannschaft in der letzten Sitzreihe schaute zu wie artige Schüler, die einen Dokumentarfilm vorgeführt bekamen: zwei gefasste Grenzdurchbrecher vor Gericht. Zerknirscht gestehen sie ihre Verbrechen, das Volk der DDR wird sein Urteil fällen …
Inzwischen hatte der Richter seine Vernehmung zur Person beendet, die Vertreterin der Anklage hatte jedoch noch einige Fragen an Hannah: Wie sie ihre Jugend in der BRD denn heute einschätze und wie sie das Verhalten ihres Vaters charakterisieren würde. Ob sie glaube, dass ihr Aufwachsen in der Welt des westdeutschen Revanchismus sie bis zum heutigen Tage geprägt habe?
Lenz, zu Dr. Rose: »Müssen wir auf solche Vorurteile antworten?«
Doch da kam es schon von Hannah selbst: »Dazu möchte ich nichts sagen. Ich will mich nicht selbst einschätzen. Und wie ich zu meinem Vater stehe, ist ganz allein meine Angelegenheit.«
Der Richter: »Es ist aber besser für Sie, wenn Sie in allem offen und ehrlich Auskunft geben.«
Hannah: »Ich glaube nicht, dass bei dieser Verhandlung überhaupt etwas gut für mich sein kann.«
Empörtes Gemurmel in der letzten Reihe der Zuhörerbänke, Dr. Roses manikürte Hände gingen in Abwehrstellung, der Richter runzelte die Stirn. Lenz aber hätte beinahe Beifall geklatscht: Das hätte er nicht gedacht, dass seine jetzt so dünne und blasse Hannah, die nichts von Hajo Hahnes Geschichten wusste, sich in dieser Situation derart behaupten würde.
Der Richter: »Na, dann setzen Sie sich mal.«
Lenz war an der Reihe. Seine Kindheit. In der Kneipe aufgewachsen? Also im kleinbürgerlichen Milieu, das ja schon immer reaktionär war? Was konnte man da anderes erwarten! Doch halt, es wurde interessant: Sozialistisches Kinderheim, sozialistisches Jugendheim, Abitur auf der Volkshochschule, Studium in Leipzig, mehrfach ausgezeichneter Soldat der Nationalen Volksarmee, Aufstieg im Binnenhandel, Tätigkeit im Außenhandel mit Reisen ins westliche Ausland – wie konnte einer, der diesen Weg gegangen war, so mir nichts, dir nichts zum Verräter werden? Der Richter rückte auf seinem Stuhl vor. »Wollten Sie vielleicht nur Ihrer Frau zuliebe unsere Republik verlassen?«
Dr. Rose meldete sich zu Wort. Sie seien immer noch bei der Vernehmung zur Person, Fragen zur Tat sollten vielleicht doch besser erst später gestellt werden.
Die Staatsanwältin kniff ihre Lippen noch fester zusammen, der Richter kratzte sich verärgert das Kinn. Musste dieser papageienhaft gekleidete Rechtsverdreher ihm denn ins Wort fallen? Doch er beherrschte sich. »Wenn Sie meinen, dass das für Ihre Mandanten von Vorteil ist – bitte schön!«
»Danke schön!« Dr. Rose setzte sich wieder und strahlte Hannah an, als hätte er soeben einen Freispruch für sie erwirkt. Lenz aber wollte die gestellte Frage lieber gleich beantworten, und so erklärte er laut, sein Entschluss, die DDR zu verlassen, habe nichts mit seiner Frau zu tun. »Wir wollen beide hier weg. Jeder für sich und jeder aus tausenderlei Gründen. Lesen Sie meine diversen Vernehmungsprotokolle, dann wissen Sie, dass ich mich innerlich bereits vor Jahren aus der DDR verabschiedet habe.« Das könnte denen so passen, dass er nur Hannah zuliebe aus ihrem Wunderland wegwollte! Das würde ihnen ihre schiefe Welt wieder gerade rücken.
Die Staatsanwältin warf ihm einen flammenden Blick zu. Nicht viel und sie hätte gezischt. Der Richter, überrascht, doch noch eine Antwort auf seine Frage bekommen zu haben, murmelte nur »So, so!« und blätterte in seinen Akten. Als ihm keine weiteren Fragen zur Person mehr einfielen, durfte die Staatsanwältin Druck ablassen. Also habe Lenz nur Karriere machen wollen? Um den Preis des Heuchelns?
Lenz: Die Heuchler seien andere gewesen. Er sei eher aufgefallen, weil er zu wenig geheuchelt und zu viele unerwünschte Fragen gestellt habe. Das müsse in seiner Kaderakte eigentlich nachzulesen sein.
»Also waren Sie kein guter Soldat?«
»Ich bin für meine Arbeit als Planzeichner belobigt worden, nicht für außergewöhnliche Leistungen als Agitator.«
»Und weshalb haben Sie so gute Arbeit geleistet?«
»Weil sie mit
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