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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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mit hundertprozentiger Gewissheit nicht genehmigt hätte. Man hatte mir ja nicht mal die Teilnahme an der Beerdigung meines Bruders gestattet.«
    Die Staatsanwältin, aufgebracht: »Spielen Sie sich doch hier nicht als Opfer auf! Sie wollten Ihre Kinder entführen! Jawohl! Sie wollten Ihre Kinder aus einer friedlichen und gesicherten sozialistischen Zukunft in die erbarmungslose kapitalistische Ellenbogengesellschaft entführen. Was sind Sie denn für eine Mutter? Anstatt sich darüber zu freuen, dass Ihre Kinder in der Geborgenheit unseres sozialistischen Staates aufwachsen dürfen, wollten Sie sie den westlichen Drogenbossen zum Fraß vorwerfen.«
    Lenz war schon dabei aufzuspringen, Dr. Rose musste ihn zurückhalten. »Nicht«, sagte er nur und schüttelte traurig den Kopf.
    Hannah kämpfte mit den Tränen, ihre Stimme zitterte. »Was Sie da sagen, ist nicht wahr. Unsere Kinder gehören zu uns. Wie sollten wir sie da ›entführen‹ wollen? Und das mit der sozialistischen Geborgenheit sehe ich anders. Ich habe erlebt, wie meine Kinder politisch beeinflusst wurden, im Kindergarten schon und in der Schule noch stärker. Ich will nicht, dass ihnen Lügen eingetrichtert und sie gegen die eigenen Eltern aufgehetzt werden. Ich will nicht, dass sie eines Tages vor die Entscheidung gestellt werden, mein Staat oder meine Eltern. Ich will nicht, dass sie zu Heuchlern erzogen werden. Ich will, dass sie aufrecht aufwachsen können.«
    Die Staatsanwältin, rot vor Zorn: »Seien Sie endlich still! Behalten Sie Ihre Westpropaganda für sich. Fakt ist, dass Sie Ihren Kindern großen Schaden zugefügt haben. Ginge es nach mir, würden Sie Ihre Kinder nicht wiedersehen.«
    »Was haben Sie da gesagt?« Nun sprang Lenz doch auf. Der Wachtmeister neben ihm riss ihn zurück, der Richter verwarnte ihn: »Verhalten Sie sich ruhig, sonst findet das Verfahren ohne Sie statt.«
    Dr. Rose meldete sich zu Wort. »Mein Mandant ist zu Recht so aufgebracht. Die Frau Staatsanwältin spricht nicht zur Sache.«
    Oho! Was war denn das? Sollte das etwa doch noch eine richtige Gerichtsverhandlung werden? Nein, zu früh gehofft. Der Richter verstand den Einwand nicht. Hier gehe es doch die ganze Zeit nur um die Sache. Kopfschüttelnd richtete er noch einige belanglose Fragen zum Fluchtverlauf an Hannah, dann schickte er sie, nachdem weder die Staatsanwältin noch Dr. Rose weitere Fragen hatten, auf ihren Platz zurück. Ein Blick auf die Uhr: Verhandlungspause!
    Die Angeklagten wurden in den Raum mit den Holzverschlägen zurückgeführt und bekamen, bevor sie eingeschlossen wurden, von der südländisch wirkenden Stasi-Tante jeder ein belegtes Brot in die Hand gedrückt.
    »Guten Appetit!«, wünschte sie ihnen laut und viel ironischer und hasserfüllter hätte sie dabei nicht blicken können.
    Für die Protokollführerin war der Angeklagte Lenz auch weiterhin kein leichter Fall. Seine Geständnisfreudigkeit verführte ihn immer wieder zu sehr schnellem Sprechen, der Richter musste ihn ein ums andere Mal ermahnen, langsamer zu reden. »Sie haben doch Zeit, oder?«
    Lenz hatte Zeit, doch fehlte ihm die Geduld, noch länger in dieser Inszenierung mitzuwirken. Sollten sie Hannah und ihn doch endlich verknacken; wenn sie nur bald Schluss machten! So ratterte er weiter seine Antworten herunter, ohne sich um die verzweifelte Protokollführerin zu kümmern.
    Wann haben Sie zum ersten Mal eine Flucht in Erwägung gezogen? An welchem Tag waren Sie im Reisebüro? Haben Sie oder Ihre Frau den stärkeren Druck auf die Fluchthelferin Möller ausgeübt? Er hatte all diese Fragen nun schon so oft beantwortet, Hannah hatte sie beantwortet; es war reine Routine, was hier abgespult wurde. Man musste die vorgegebenen Regieanweisungen einhalten, die Angeklagten sollten dabei nicht stören.
    Die Staatsanwältin blickte von Frage zu Frage giftiger, immer öfter hob sie ihre Stimme und scheute auch vor grellem Pathos nicht zurück. Sie war die Vertreterin der Arbeitermacht, wie konnte sie da individuelle Freiheits- und Denkansprüche dulden? Es ging um die Festigung und Sicherung des Herrschaftsanspruchs ihrer Partei; sie führte einen Krieg, der Feind musste an allen Fronten vernichtend geschlagen werden. Und so warf sie auch Lenz vor, er habe seine Kinder entführen wollen.
    Sollte er auf diesen Blödsinn etwa antworten? »Dazu sage ich nichts. Das ist mir zu dumm. Da schließe ich mich den Ausführungen meiner Frau an.«
    Die Staatsanwältin: »Sie sollten nachdenken,

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