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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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klang nicht nach frühzeitiger Entlassung in die Bundesrepublik; Brandenburg, Bautzen, Cottbus, so hießen die Gefängnisse rings um Berlin, aus denen laut Hajo Hahne die Westexporte abgingen, falls man nicht direkt ab Stasi-Knast geliefert wurde; Rummelsburg war nichts anderes als ein berühmt-berüchtigter Verbrecherknast.
    Und nun saß er hier ein und wusste nicht, womit er sich noch aufrichten sollte. Vielleicht damit, dass fünf der sechs aus Hohenschönhausen hier eingelieferten Häftlinge vom Rechtsanwaltbüro Vogel vertreten wurden? Das konnte doch kein Zufall sein. Über die Zeit jedoch, die sie noch würden absitzen müssen, verriet diese Tatsache nichts.
    Micha! In wenigen Tagen wurde er sechs. Wie er jetzt wohl aussah? Für Kinder waren acht Monate eine lange Zeit, da veränderten sie sich sehr … Lenz schloss die Augen und dachte an seinen Sohn. Es gab eine Geschichte, die Micha sicher nie vergessen würde, vielleicht erinnerte er sich im Heim manchmal daran. Es war voriges Jahr im Sommer, sie hatten einen Ausflug gemacht, mit der S-Bahn nach Grünau und mit der Fähre nach Schmetterlingshorst und Marienlust hinüber. Als sie am Abend zerschlagen von Sonne und Wasser nach Hause kamen, funktionierte der Fahrstuhl nicht. Müde stiegen Hannah und die Kinder in den fünften Stock hoch, er aber flitzte voraus, schloss auf, zog sich in Windeseile aus und den Schlafanzug über und öffnete ihnen, als sie endlich oben angelangt waren, gähnend und mit zerstruwweltem Haar; so als hätte er, weil sie so lange brauchten, schon ein paar Stunden geschlafen. Erst riss Micha nur staunend die Augen auf, dann musste er so herzhaft lachen, dass ihm sogar der Bauch wehtat.
    Nein, vergessen würden Silke und Micha ihre Eltern nicht, das war ganz unmöglich. Aber was dachten sie nun von ihnen? Wenn sie zurückblickten, sahen sie nur die Szenen ihrer Verhaftung vor sich oder auch all die schönen Erlebnisse, die sie miteinander hatten? Ja, und später, was würden sie später von ihnen denken, wenn sie als Erwachsene urteilten? Würden sie sie dann verstehen können? Oder würden sie ihnen vorwerfen, ihnen etwas ganz Entsetzliches angetan zu haben? Wie sollten sie denn, falls sie in die Bundesrepublik entlassen wurden, jemals begreifen können, dass ihren Eltern gar keine andere Möglichkeit blieb, als eine Flucht zu wagen? Von fern sah ja alles nur halb so düster aus …
    Dettmers beugte sich zu ihm hinunter. »Du seufzt, dass es einem kalt den Rücken runterrieselt. Mach dir nicht so viele trübe Gedanken, Manne. Blick in die Zukunft, du stehst auf der richtigen Seite. Irgendwann wirst du über das alles nur noch lachen können.«
    Lenz seufzte noch mal. »Schön, wenn man einen solchen Zukunftsofen in der Tasche hat, während ringsum Eiszeit herrscht!«
    »Ohne meinen Zukunftsofen wäre ich längst erfroren. So was muss man sich zulegen, will man hier nicht untergehen.«
    »Na dann – es lebe das Jahr 2000!«
    Dettmers legte sich zurück, doch es dauerte nicht lange, dann spähte er erneut zu Lenz hinunter. »Wie wär’s mit ’nem Witz?«
    »Nur zu! Lachen ist die beste Medizin.«
    »Treffen sich zwei Tomaten auf der Landstraße. Sagt die eine: Hallo, Tomate! Im selben Augenblick kommt ’n LKW, fährt über sie hinweg. Sagt die andere: Hallo, Ketchup!«
    Lenz konnte nicht lachen. »Was willst du damit sagen? Dass wir schon Ketchup sind? Oder dass wir aufpassen müssen, nicht ganz und gar unter die Räder zu kommen?«
    »Mann Gottes!« Dettmers warf sich auf seinem Bett herum, dass alle drei Bettgestelle ins Wackeln gerieten. »Wer ist denn hier der Philosoph? Das sollte einfach nur ’n Witz sein.«
    Längere Zeit schwieg der lange Student; als Lenz schon dachte, er sei eingeschlafen, beugte Dettmers sich aber doch noch mal zu ihm hinunter: »Pass mal auf, Mister Ich-lass-mir-meinen-Frust-nicht-nehmen, wenn ich mir wieder mal selber Mut mache, pinkel mir nicht wieder in mein spärlich flackerndes Feuer, ja? Sonst geht mein kleiner Ofen noch ganz aus. Und das haste dann davon!«
    Da musste Lenz doch lachen. »Entschuldige! Nie wieder werde ich deinen Ofen benässen.«
    Dettmers: »Fein! Dann wäre das ja auch geregelt.«
    Bald sollte aber auch das Feuer in Lenz’ Ofen wieder zu glimmen beginnen. Am Morgen ihres vierten Rummelsburger Tages erfuhren Dettmers und er, dass sie nur übergangsweise ins Stadtgefängnis verlegt worden waren. Sie befanden sich im Haus 4, dem so genannten Transporter- oder Durchgangshaus,

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