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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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aussah wie ein Mädchen. Es gab mehrere Strafgefangene mit weiblichem Spitznamen. Sie wurden aus Spaß so gerufen; offenbar musste etwas Weibliches her.
    Eri Braun saß seit zwei Jahren und hatte noch weitere zweieinhalb abzusitzen. Sein Vater, ein Hauptmann, war Chef einer Mecklenburger Grenzkompanie. Über den von Papa kontrollierten Grenzabschnitt, über Stacheldraht und Minen hinweg, hatte der Sohn in den Westen fliehen wollen – Anlass für die Militärstaatsanwaltschaft, ihm auch noch Spionage anzuhängen, da er doch über seinen Vater so einiges über den Grenzdienst und die Grenzanlagen wusste. Dass er mit viereinhalb Jahren davongekommen war, hatte Eri hauptsächlich seiner Jugend zu verdanken. Außerdem wollte man ihm – wohl wegen seines Vaters – noch die Chance zur geistigen Umkehr bieten. Eine trügerische Hoffnung. Eri, der unter die Herbst-Amnestie gefallen war, hatte sogar eine vorzeitige Entlassung abgelehnt, weil er dazu seinen Ausreiseantrag hätte zurückziehen müssen. »Ich lass mich nicht kaufen«, erklärte er seine Weigerung, »nur verkaufen, das dürfen se mich.«
    Es gab keinen Strafvollzugsbeamten, der den ewig aufmüpfigen Eri Braun nicht hasste, keinen Häftling, der mehr Arresttage hinter sich hatte als Eri, niemanden, der so oft ein Schlüsselbund ins Gesicht bekommen hatte oder mit dem Gummiknüppel traktiert worden war wie er.
    Leutnant Oppel, Leiter des Erziehungsbereichs IV, ein eher zurückhaltender Mann, der »Erziehungsgespräche« mit den Häftlingen zu führen hatte und für den der Knastalltag allein aus »OKS« bestand – Ordnung, Kontrolle und Sicherheit –, versuchte es mal mit der weichen Tour, indem er Eri ausmalte, wie schwer er es in der BRD haben würde, falls seinem Ausreiseantrag jemals stattgegeben werden sollte. Er sei ja nur wenige Tage vor den Abiturprüfungen festgenommen worden und damit ohne jeden Schulabschluss oder abgeschlossene Lehre. »Da drüben kümmert sich kein Schwein um Sie. Da können Sie im Rinnstein verrecken, ohne dass jemand auch nur einen Blick auf Sie wirft.«
    Eris Antwort: »Lieber im Westen verrecken als im Osten fett werden.«
    Was zwischen Eri Braun und seinem Vater vorgefallen war, wusste niemand. Darüber schwieg Eri sich aus. Doch natürlich musste etwas passiert sein, das über einen üblichen Vater-Sohn-Konflikt hinausging. Wer versuchte denn ohne Not, wenige Tage vor dem Abitur zu fliehen?
    Inzwischen wurde Eri schon vom dritten Rechtsanwalt vertreten, diesmal vom richtigen: Dr. Vogel.
    Eri Brauns »Spanner« war Jürgen Stracks. Es war beliebt unter den Gefangenen, sich zu Zweier-Gespannen zusammenzuschließen. Man teilte, was man besaß, und stand sich in vielen Situationen gegenseitig bei; zu zweit war man einfach stärker, fühlte sich nicht so allein gelassen.
    Stracks wurde nur bei seinem Nachnamen gerufen, kam aus Schwerin, war etwa in Eri Brauns Alter und fühlte sich als Widerständler; einer, der nicht fortlief, sondern kämpfte. Stracks’ Großvater war nach dem Krieg von der russischen Besatzungsmacht zu fünfundzwanzig Jahren verurteilt worden und erst nach acht Jahren von den DDR-Behörden freigelassen worden. Grund für die Verhaftung: Er hatte sich über die Demontagearbeiten der Russen erregt. Eine Geschichte, die Stracks, der bei diesem Großvater aufgewachsen war, noch immer bewegte. »Mein Opa war kein Nazi«, erklärte er immer wieder, »er wusste nur Recht und Unrecht auseinander zu halten.« Und dieses Talent, so meinte Stracks, habe er geerbt, weshalb er immer wieder gegen alles aufbegehre und bei jeder Kleinigkeit den Mund aufreiße. Er hatte dreieinhalb Jahre wegen staatsfeindlicher Hetze und Bildung einer kriminellen Vereinigung.
    Lenz sah es gern, wenn Eri Braun zu ihm kam; Eri lachte viel und sorgte für Solidarität unter den Häftlingen. Mit Stracks konnte er nicht viel anfangen. Noch größere Probleme aber bereitete ihm Hubert Cierpinski, ein ehemaliger Werkdirektor und Ex-Oberleutnant der Volksarmee aus der Gegend um Dresden, der wegen Veruntreuung von irgendwelchen Geldern zu zwei Jahren verurteilt worden war. Schärpe, wie Cierpinski nur genannt wurde, war ein Gegner der Freikäufe. »Der Aderlass wird gestoppt«, verkündete er immer wieder mit verschwörerischer Miene. »Ich weiß es. Hab Verbindung nach ganz oben.«
    Nicht gerade ein Trost, solche Worte. Redete Lenz dagegen an, erzählte Cierpinski von Gefangenen, die drei oder vier Jahre gesessen und auf ihre Ausreise gehofft, danach

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