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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Waschbecken und schob ihn so durch die Gitterstäbe, dass er das Zellenfenster des gewünschten Gesprächspartners sehen konnte. Der kam, nachdem sein Name gerufen worden war, ebenfalls mit einem Spiegel in der Hand ans Fenster. So plauderte man nicht ins Blaue hinein, sondern konnte einander ansehen. Lenz und Dettmers schlugen auf diese Weise ganze Sonntagnachmittage tot.
    Noch spannender war das Veranstalten von »Kutschfahrten«. Dann wurden Kassiber, Tabakportionen oder Zigarettenblättchen von Zellenfenster zu Zellenfenster gependelt. Dazu wurde das Zettelchen oder die »Lieferung« in Papier gewickelt oder in ein Taschentuch verknotet, an einen langen Bindfaden gebunden und in geschickten Pendelschwüngen vor dem Fenster hin und her bewegt. Bis das Päckchen endlich hoch und weit genug flog, damit sich der Bindfaden um den Besenstiel wickeln konnte, der aus dem Fenster der Nachbarzelle gehalten wurde. Auf diese Weise war über mehrere Fenster hinweg jede Zelle zu erreichen, egal wie weit entfernt, egal in welchem Stockwerk. Durfte nur kein Schließer im Hof sein, der diese Kutschfahrten beobachtete.
    Aber natürlich, nichts ging über den Erhalt von reeller Post – ein Brief von der Frau, den Kindern, den Eltern, dem Bruder, der Schwester, der Freundin. Wer Post von draußen bekam, schwebte für kurze Zeit davon. Still zog er sich in die am weitesten von allen anderen entfernte Zellenecke zurück; erst wenn alle Neuigkeiten verdaut waren, durften die anderen daran teilhaben.
    Lenz kannte den Kugelschreiber, mit dem Hannah ihm schrieb. Es war der rote Parker , den er ihr aus Bombay mitgebracht hatte und für den Fränze später Minen schicken musste. Welch ungewöhnliches Schicksal für einen Kugelschreiber: auf einem belebten indischen Basar mit viel Spaß am Feilschen erstanden, nun benutzt, um Briefe zu schreiben, die von einem ostdeutschen Gefängnis ins andere gingen!
    Hannah durfte jeden Monat einen Brief schreiben, da sie aber auch an die Kinder schrieb, bekam Lenz nur jeden zweiten Monat Post von ihr. Diesen Brief las er dann so oft, bis er ihn auswendig aufsagen konnte.
    Auch er schrieb jeden zweiten Monat an die Kinder; Briefe, die ihm schwer fielen! Er wollte Silly und Micha Mut machen, ihnen sagen, dass sie sich bald wiederhaben würden, doch er durfte ja nicht die Wahrheit schreiben: Die Briefe wurden mitgelesen – von ihrem »Erziehungsberechtigten« Leutnant Oppel. Aber auch wenn das nicht der Fall gewesen wäre, wie hätten die Kinder ihn denn verstehen sollen? Er litt unter Silkes Antwortbriefen und Michas Zeichnungen. Die Zeichnungen hatten nichts mit Michas jetziger Situation zu tun, waren »Auftragswerke«; Silkes Briefe verrieten viel Unverständnis oder waren ihr, wie leicht herauszulesen war, diktiert worden.
    Schrieb Lenz an Hannah, durfte er sich weder über die Haftbedingungen noch über die Strafvollzugsbeamten äußern. Auch politische Erörterungen oder Gedanken zum eigenen Fall – etwa die immer noch unbeantwortete Frage, wie ihr Fluchtvorhaben denn überhaupt herausgekommen war – musste er sich verkneifen. Gefiel Zensor Oppel etwas nicht, ging der Brief nicht ab. So schrieb Lenz jedes Mal an zwei Personen zugleich: an Hannah und den Leutnant. Das Zwischen-den-Zeilen-Schreiben jedoch – der Adressat sollte verstehen, was man ihm mitteilen wollte, der Zensor aber möglichst nicht –, es funktionierte nicht recht. Oft formulierte Lenz seine Briefe schon tagelang zuvor im Kopf, schrieb sie um und um und war dann, wenn er alles zu Papier gebracht hatte, doch unglücklich über das, was dabei herausgekommen war.
    Wie konnte er Hannah denn Mut machen, wenn er ihr seine inzwischen von so vielen Mitgefangenen bestätigte Dr.-Vogel-Hoffnung verschweigen musste? Wie sollte sie sein unklares optimistisches Drumherumgeschreibe richtig deuten? Kein Wort zu viel durfte er riskieren, wollte er nicht, dass Hannah längere Zeit nichts von ihm hörte.
    Und seine literarische Schreiberei? Lenz versuchte es, wollte aufzeichnen, was er erlebte und beobachtete; in seiner Arbeitsbude standen ihm jede Menge Materialzettel und Abrechnungsformulare zur Verfügung. Das Karl-May-Spielen aber war auch hier verboten. Während der Zählappelle wurde jedes aufgefundene, beschriebene oder unbeschriebene Blatt Papier konfisziert und hin und wieder wurden die Gefangenen von Rollkommandos überrascht. Dann stürzte, egal wo sie sich gerade befanden, eine Rotte Blauuniformierter mit Gummiknüppeln auf sie zu,

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