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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Spitzname lautete?
    »Ich will wissen, wer das feige Schwein war, das mich aus dem Fenster heraus beschimpft hat!«
    Aus den Augenwinkeln sah Lenz zu den anderen hin: Karrandasch, Hausmann, Franz Moll, Jochen Wiegand, Roman Brandt. Sollte er sich melden, damit die anderen in Ruhe gelassen wurden? Wiegand schüttelte unmerklich den Kopf; abwarten, besagte sein Blick.
    »Kein Charakter, was?«
    »Wer soll denn was gerufen haben?« Karrandasch krauste die Nase.
    »Wollen Sie mich verarschen?« Berija schob sich vor Karrandasch hin. Lenz hatte mal ein Foto gesehen: ein großer, schlanker SS-Mann vor einem kleinen, ernsten, aber sehr gefassten KZ-Häftling – Carl von Ossietzky und einer seiner Bewacher. Nein, die Strafvollzugsanstalt Cottbus war kein KZ, die Haltung jedoch, in der der große, schlanke Berija sich vor dem kleinen Karrandasch aufgebaut hatte – Beine breit, Arme in die Seiten gestemmt –, war die gleiche. Es war die typische Haltung all derer, die kraft der ihnen von ihrer Obrigkeit verliehenen Autorität meinten, es mit minderwertigem und deshalb mit Strenge und Gewalt zu behandelndem »Menschenmaterial« zu tun zu haben. »Aus Ihrer Zelle kam der Ruf. Hab ja den Schatten noch vom Fenster verschwinden sehen. Ich rate demjenigen, der sich mit mir anlegen wollte, sich zu melden, sonst leidet der ganze verrottete Verein.«
    »Hab nicht gerufen.« Karrandasch.
    »Ich auch nicht.« Hausmann.
    Sie hatten alle nicht gerufen, auch Moll, Wiegand, Brandt und Lenz nicht.
    »Raustreten!«
    Sie mussten sich auf dem Flur in einer Reihe aufstellen und so stehen bleiben, gut einen Meter von jeder Wand entfernt, damit sie sich nicht etwa anlehnen konnten.
    »So, meine Herren! Während Sie nun langsam immer tiefer in den Fußboden wachsen, können Sie ja mal darüber nachdenken, ob Ihnen nicht doch noch einfällt, wer von Ihnen mit mir diskutieren wollte.«
    Berija grinste und ging. Die Zellentür hatte er zugeschlossen.
    Moll seufzte: »Der bringt es fertig und lässt uns eine ganze Woche lang hier stehen.«
    Lenz bot an, sich zu melden. »Ich will nicht, dass wir zu sechst unter meinem Ausraster leiden.« Er kannte die »Erziehungsmethode« Strafestehen bereits. Aus dem Kinderheim. Schon nach einer Stunde hatten sie damals das Gefühl gehabt, jeden Augenblick umfallen zu müssen.
    »Kein Wort sagste! Meldeste dich, hat er dich auf’m Kieker, bis du wieder hier raus bist.« Wiegand.
    Karrandasch: »Außerdem ist dir der Tigerkäfig sicher.«
    Eri Braun hatte von der käfigartigen Arrestzelle im Keller berichtet. Zwischen mehreren sehr dunklen, sehr kalten Kellerzellen, die benutzt wurden, um widerspenstige Häftlinge durch längere Arresthaft zur Raison zu bringen, sollte es diesen feuchten, dunklen Tigerkäfig geben: eine Zelle, die durch ein Gitter geteilt und auf diese Weise von der Zellenaußentür getrennt war. Nur zweieinhalb Kubikmeter Raum standen dem Arrestanten darin zur Verfügung, und es gab kein Fenster, nur eine Belüftungsklappe, die vom Gang aus bedient wurde. Auch verhinderte dieses Gitter jede Möglichkeit, im Notfall Hilfe herbeizuklopfen. Sogar die Kloschüssel lag vor dem Gitter; Benutzung nur möglich bei Zellenaufschluss. Einziges Inventar: Holzpritsche mit Wolldecke; keine Matratzen.
    »Das Problem ist, dass ich nicht lange stehen kann«, flüsterte Hausmann. »Hab’s seit der U-Haft an der Bandscheibe.«
    »Wenn du sagst, dass es nicht mehr geht, melde ich mich.«
    Hausmann nickte nur. Ein Eingeständnis, das ihm schwer gefallen sein musste. Ein Chirurg, der nicht lange stehen konnte? Da würde er sich, wenn er seine Zeit herumhatte, zuallererst von einem Kollegen operieren lassen oder in ein anderes Fachgebiet überwechseln müssen.
    Lenz wiederholte: »Sowie einer von euch sagt, dass es nicht mehr geht, melde ich mich.«
    Schweigen. Sie standen ja erst seit ein paar Minuten.
    »Eine Uhr müsste man haben«, flüsterte Moll nur wenig später. »So wissen wir nicht mal, wie lange wir schon stehen.«
    »Denk an was anderes«, zischte Karrandasch ärgerlich und brach, um sich und die anderen abzulenken, mal wieder einen Streit über die Gebrüder Mann vom Zaun. Lenz ging darauf ein, die anderen hörten zu, bis auch Wiegand und Hausmann mit diskutierten. »Habt ihr denn schon mal was von einem der beiden gelesen?«, fragte Lenz an Moll und Brandt gewandt. Als sie verneinten, begann er ihnen den Professor Unrat zu erzählen. Zur Schule waren ja auch Moll und Brandt mal gegangen, vielleicht

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