Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
Vom Netzwerk:
Strafvollzugsbeamten vorführen. Immer wieder drängte es ihn zu beweisen, was der große Stracks für ein Kerl war. Damit sorgte er ständig für Unruhe, was ihn jenen Gefangenen, die möglichst in Ruhe gelassen werden wollten, nicht gerade sympathisch machte. Trotzdem waren alle politischen Häftlinge, Lenz eingeschlossen, für Brauns Aktion. Vor jeder Arresteinweisung musste ein Arzt die Arrestfähigkeit bestätigen, was in Stracks’ Fall auch geschehen war – doch was, wenn die Krankheit erst nach erfolgter Einweisung in die Arrestzelle erkennbar wurde? Musste die Bestrafung dann nicht ausgesetzt, zumindest aber dafür gesorgt werden, dass der Arrestant unter ständiger ärztlicher Kontrolle stand?
    Braun hatte die Parole ausgegeben und der Erziehungsbereich IV hielt sich daran. Als sie an diesem warmen, sonnigen Augustmorgen auf dem Hof angetreten waren und Brandt den Befehl zum Abmarsch gab, traten sie fast auf der Stelle, so langsam nur bewegte die erste Reihe sich vorwärts. Die verwunderten Kriminellen, von denen nur die wenigsten über die Protestaktion Bescheid wussten, waren gezwungen, sich diesem Tempo anzupassen. Dienst hatte an jenem Morgen der Polizeimeister Klöppenpieper, neben Leutnant Oppel der einzige Strafvollzugsbeamte, der keinen Spitznamen verpasst bekommen hatte. Womit hätte »Klöppenpieper« denn noch übertroffen werden sollen? Der junge Polizeimeister glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. »Was soll denn das? Sind Sie ganz und gar verrückt geworden?«
    »Arzt für Stracks!«, rief Eri Braun.
    »Was? Wieso? Wer war das?«
    Keine Antwort.
    In Klöppenpieper dachte es. Aber es dachte anders als sonst. Üblicherweise spitzte er beim Denken den Mund, als wollte er pfeifen; an diesem Morgen vergaß er das. Doch begann er nicht zu toben. Er war kein Berija, Urian, Panzerplatte, kein Petrograd; er war nur Klöppenpieper, und deshalb versuchte er, das Ganze als Scherz misszuverstehen. »Los!«, sagte er jovial und nickte dem mit betretenem Gesicht vor ihm stehenden Brandt lächelnd zu. »Geben Se noch mal Kommando und dann ab zur Arbeit. Sonst kommen Se noch zu spät und es gibt Lohnabzüge.«
    Brandt ließ stillstehen, dann befahl er erneut: »Im Gleichschritt – marsch!«
    Sie trippelten. Brandt schrie: »Links, links, links, zwo, drei, vier …« Es nützte nichts, die Gefangenen setzten die Füße nur zentimeterweise.
    Der verwirrte Klöppenpieper winkte Fabian Weiss aus dem Glied und befahl Brandt, sich einzureihen. Weiss, ein rotblonder, etwa vierzigjähriger Leipziger Bär, der sein Käppi immer so schräg aufsetzte, als wollte er trotz der vier Jahre, zu denen er verurteilt war, ungebrochene Daseinslust demonstrieren, war eine Respektsperson. Wenn es Weiss nicht gelang, die Truppe in Gang zu setzen, wem dann? So musste es in Polizeimeister Klöppenpieper gedacht haben. Ein Zeichen dafür, dass er noch immer nicht begriffen hatte, was für Leute er bewachte. Weiss saß, weil er verbotene westliche Literatur verliehen hatte, darunter auch ein Band mit Erinnerungen politischer Häftlinge an ihre Haftzeit in der DDR. Mehrere von ihnen, so Weiss einmal zu Lenz, hätten in Hohenschönhausen eingesessen, allerdings einige Meter von den Neubauzellen entfernt, in denen Lenz seine acht Schritte auf und ab getigert war. Bis in die sechziger Jahre hinein sei auf dem Gelände an der Genslerstraße nämlich auch noch ein unterirdischer, fensterloser Zellentrakt genutzt worden, von einigen Gefangenen »Badewanne«, von anderen »U-Boot« genannt. Die Russen hätten ihn angelegt, damals kurz nach dem Krieg, die Stasi habe ihn übernommen. In den röhrenförmigen, fensterlosen Zellen hätten die Gefangenen kaum Luft bekommen, und noch bis Anfang der sechziger Jahre seien sie geschlagen und mit Wasser, Hitze, Kälte, Schlafentzug und Steharrest gefoltert worden. »Die das mitgemacht haben, werden noch immer von Alpträumen gequält. Und glaubst du etwa, uns wird’s anders ergehen? Wer gefoltert wurde, bleibt gefoltert – sein Leben lang! Ob nun körperliche oder psychische Folter, das macht keinen großen Unterschied.«
    Weiss war ein echter Feind seines Staates, und so stand er, nachdem Klöppenpieper ihn aus dem Glied gewunken hatte, nur da und lachte. Dreimal forderte Klöppenpieper ihn auf, das Kommando zu übernehmen, Weiss schien überhaupt nicht zu verstehen, was er von ihm wollte. Aus dem Glied heraus aber wurden immer lautere Rufe nach einem Arzt für Stracks laut. Und es war

Weitere Kostenlose Bücher