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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Arzt für Stracks!«
    Ha! Nun hatte er einen. Panzerplatte stürzte vor, packte Braun an den Jackenaufschlägen und zerrte ihn aus dem Glied. Petrograd und Knutschfleck, ein mittelgroßer, dicklicher Dreißiger mit ausgeprägt wulstigen Lippen, führten ihn ab. Kein Zweifel, dass es geradewegs in den Arrestkeller ging.
    Kaum war Eri Braun mit seinen beiden Wachhunden im Zellenhaus verschwunden, stellte Panzerplatte sich erneut in Positur und befahl erst mal nur, die Reihen zu schließen. Dann ging er langsam um sie herum. Mal von rechts, mal von links blickte er sie an. Aber immer drohend. Sie seien aufgehetzt worden, erklärte er ihnen. Natürlich von Braun, diesem ewigen Querulanten. Das wäre aber sehr, sehr dumm von ihnen, wenn sie auf solche Typen hereinfielen. Letztendlich schadeten sie damit nur sich selbst. Doch vielleicht würden sie ja noch zur Vernunft kommen. Er wolle ihnen eine letzte Chance geben, sich gemäß Anstaltsordnung zu verhalten. »Im Gleichschritt – marsch!«
    Sie trippelten.
    Er starrte sie an, als wollte er nicht glauben, was er da sah, dann wendete er sich seinen Kollegen zu. Man palaverte ein Weilchen miteinander und beschloss wohl, die Gefangenen erst einmal eine Zeit lang weitertrippeln zu lassen; immer rundherum um den kahlen Rasenfleck im Gefängnishof; in der Hoffnung, dass sie irgendwann ganz von selbst schneller werden würden: Das konnte denen doch keinen Spaß machen, die hatten den ganzen Tag gearbeitet, sie mussten hungrig sein und müde.
    Lenz beobachtete sie, die Herren »Erzieher«, wie sie da im Kreis beieinander standen, sie mit wütenden Blicken maßen und schon jetzt nicht mehr aus noch ein wussten. Keiner von denen besaß die geringsten pädagogischen oder psychologischen Voraussetzungen, mit Strafgefangenen umzugehen. Sie konnten nur Türen auf- und zuschließen und Gewalt androhen oder anwenden, waren nichts als Verwahrer und Bewacher. Weshalb aber hassten sie die politischen Häftlinge so? War es nur, weil sie wegwollten aus dem Staat, in dem sie selber es sich so gemütlich gemacht hatten? Oder spielten auch Minderwertigkeitsgefühle eine Rolle? Immerhin hatten zwei Drittel der hier an ihnen Vorübertrippelnden eine bessere Ausbildung als sie und waren ihnen auch intellektuell überlegen. Wenn man nicht diskutieren kann, ohne ausgelacht zu werden, was bleibt einem dann außer Gummiknüppel, Schlüsselbund, Arrestzelle, Tigerkäfig?
    Eine endlos lange Runde nach der anderen trippelten sie um den Hof; ein Trauermarsch, wie er von keinem Choreographen grotesker hätte inszeniert werden können. Und als Panzerplatte einmal über einer Diskussion mit seinen Kollegen das Kommando »Links schwenkt – marsch!« vergaß, marschierten sie voller Schadenfreude geradeaus weiter, bis sie vor dem backsteinernen Zellenhaus stehen bleiben mussten und kichernd auf der Stelle traten. Wie ein aus der Hölle geschleuderter Racheteufel kam er da herangefegt, der Polizeiobermeister Panzerplatte, mit den unflätigsten Schimpfwörtern belegte er sie. Leutnant Oppel in seinem Gefolge wartete ab, bis der vor Zorn bebende Mann endlich verstummt war, dann ließ er sie stillstehen, um ihnen gleich darauf mitzuteilen, dass ihr Protest sinnlos sei. »Sie können uns zu nichts zwingen. Der Strafgefangene Stracks wird zum Arzt geführt, wenn wir das für notwendig erachten. Deshalb, letztmalig: Bewegen Sie sich von nun an gemäß Anstaltsordnung vorwärts und Sie dürfen in Ihre Zellen. Andernfalls zwingen Sie uns, Sie mit Strafexerzieren zu belegen. Wenn es sein muss, die ganze Nacht lang. Wir haben Zeit.«
    »Wir auch.« Eine Stimme aus dem Marschblock, gefolgt von unterdrücktem Gelächter.
    »Wer war das?« Panzerplatte hoffte auf ein neues Erfolgserlebnis, Oppel winkte ihn zurück und ließ weitermarschieren: »Im Gleichschritt – marsch!«
    Sie trippelten und hinter den Fenstergittern der anderen Erziehungsbereiche drängten sich von Minute zu Minute mehr Gefangene. Erste Beifalls- und Anfeuerungsrufe wurden laut. Was ihre Verantwortung noch erhöhte; sie hatten etwas zu Ende zu bringen, auch wenn man sie bis zum Morgen durchmarschieren ließ. Die Frage war nur, ob sie das so lange durchhalten würden; diese Fortbewegungsmethode ging auf die Beine.
    Es war Alfred Karp – er marschierte in der ersten Reihe –, der die Parole ausgab: »Riesenschritte! Zur Erholung eine Runde Riesenschritte.«
    Welch erlösendes Signal! Kaum hatte Karp es ausgesprochen, stürmten seine beiden Nebenmänner

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