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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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längst nicht mehr nur Eri Braun, der den Mund aufmachte.
    Enttäuscht und wütend schickte der hilflose Klöppenpieper auch Weiss ins Glied zurück und winkte Hannes Baltzer heraus. Der, ein Idiot, der sich selbst eine SS-Uniform gebastelt hatte und damit eines Sonntagnachmittags durch Neubrandenburg spaziert war, ein fetter Kerl mit Schweinsäuglein, erst neunundzwanzig Jahre alt und schon Vater von acht Kindern, stellte sich gleich in Positur und schrie wie ein wild gewordener Stier: »Erziehungsbereich IV – stillgestanden!«
    Sie stellten das Trippeln ein.
    »Im Gleichschritt – marsch!«
    Sie trippelten.
    Und dabei blieb es: Baltzer brüllte, Klöppenpieper blickte ratlos, der Erziehungsbereich IV setzte Fuß vor Fuß. Doch der Weg zur Stanzerei war kurz, sie hatten das Fabrikgebäude trotz ihres Protestes bald erreicht. Deshalb war geplant, auf dem Rückweg von der Arbeit die gleiche Zeremonie zu veranstalten. Und am nächsten Morgen wieder; notfalls eine ganze Woche lang immer nur Trippelschritte. Doch dazu, das wussten sie, würde es gar nicht erst kommen. Die Berijas, Urians und Petrograds waren keine Klöppenpieper – sie würden den Protest als Kriegserklärung auffassen und schwere Geschütze gegen sie auffahren. Und damit würde das Ganze eskalieren und zu einer ernsten Sache werden.
    Wer auch immer an diesem Tag zu Lenz kam, um sich Arbeit und Werkzeug zu holen, es gab nur ein Thema: Womit mussten sie rechnen? Konnten sie sich auf irgendetwas vorbereiten? Einzige Beruhigung: Es gab keine zweiunddreißig Arrestzellen und erst recht keine zweiunddreißig Tigerkäfige.
    Klug beraten wären ihre »Erzieher«, da waren die Gefangenen sich einig, wenn sie ihren Protest einfach nicht beachten würden. Dann würde er sich über kurz oder lang tottrippeln. Was machte es denn aus, ob sie fünf Minuten mehr oder weniger für ihren Weg zur Arbeit brauchten? Doch sie waren nun mal nicht klug, die Berijas, Urians und Petrograds, sondern empfanden jedes noch so zaghafte Aufbegehren als Umsturz, Konterrevolution oder Weltuntergang, also würden sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen diese Einheitsfront angehen und ihrem Trippelprotest damit erst das nötige Gewicht verleihen.
    Und richtig vermutet, kaum waren sie nach der Arbeit vor der Stanzerei angetreten, standen sie schon im Hof beieinander, all die Blauuniformierten, die an diesem Nachmittag abkömmlich waren. Sie standen da, wie sie schon zu allen Zeiten dagestanden hatten, die Uniformjacken straff gezogen, die Hände über dem Hintern verschränkt, ab und zu auf den Stiefelspitzen wippend. Einige machten grimmige Gesichter, andere lächelten ungläubig. Urian war dabei, Lachtaube, Berija, Zitteraal, Panzerplatte, Petrograd, Salonbolschewist, Leutnant Oppel und Knutschfleck. Sogar der VO war anwesend, der für alle Sicherheitsfragen zuständige Verbindungsoffizier zum Ministerium für Staatssicherheit: der Einzige in dieser Truppe, der keine blaue, sondern eine Stasi-Uniform trug; der einzige Schlüsselgewaltige im Haus, der uneingeschränkte Rechte besaß, keinerlei »Erziehungspflichten« hatte und keiner Kontrolle unterlag. Nur dem VO billigten die Häftlinge zu, eine Ahnung davon zu haben, wie es mit ihnen weitergehen würde – ob sie eine Chance hatten, bald ihren Vogelflug in den warmen Westen antreten zu dürfen oder noch lange im kalten Osten ausharren mussten. Lächelte der VO, begann der halbe Knast mit den Flügeln zu schlagen, blickte er hochmütig drein, sah man sich nach einer warmen Decke um. An diesem Tag jedoch machte er vor allem ein neugieriges Gesicht, der hoch gewachsene Fünfziger mit dem grau melierten Haar und der scharf vorspringenden Nase: Aufstand der Strafgefangenen? Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Na, diesen »Aufstand« wollte er sich mal ansehen!
    Panzerplatte, ein Polizeiobermeister wie ein Steinquader, mit Specknacken und tief in die Stirn gezogener Schirmmütze, der oft so schwitzte, dass es in Wolken durch seine Uniform drang, übernahm als Erster das Kommando. Mit einem Donnerton, der sogleich klar machen sollte, dass er nicht Klöppenpieper hieß, befahl er: »Im Gleichschritt – marsch!«
    Sie trippelten.
    »Stillgestanden!«
    Sie verharrten auf der Stelle und Panzerplatte schoss um sie herum wie ein ausgehungerter Tiger um eine Herde Schafe. Was das solle? Wenn sie nicht sofort in einen anständigen Marschtritt verfielen, würden sie allesamt bestraft.
    Braun: »Wir verlangen einen

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