Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
Vom Netzwerk:
und er schon los. Alle anderen ihnen nach. Panzerplatte blickte nur ganz verdattert, der schon seit längerer Zeit unruhig zitternde Berija stellte sich ihnen mit hochrotem Kopf in den Weg. »Stillgestanden!«
    Sie blieben stehen, und wer nicht schnell genug reagiert hatte, prallte auf seinen Vordermann. Die Gefangenen in den Zellen johlten begeistert; es musste lustig ausgesehen haben, wie die zuvor so langsame Truppe sich auf einmal schräg in die Kurve legte und so mancher Kurzbeinige in den Laufschritt verfallen musste, um mitzuhalten.
    Urian mit dem Nussknackergesicht, der windschlüpfrig wirkende, von der Gesichtsfarbe her an einen ausgekauten Kaugummi erinnernde Salonbolschewist, und der lange, dünne Hauptwachtmeister Zitteraal, der so herrlich lispelte – »Fie! Fie! Waf bilden Fie fich ein? Herkommen, hab ich gefagt!« –, mit langen Schritten verschwanden sie im Zellenhaus, um das unerwünschte Publikum von den Rängen zu vertreiben. Im Hof übernahm währenddessen Berija das Kommando. Er hielt keine Rede, drohte nicht, ermahnte sie nicht, starrte sie nur mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Dann sagte er so leise, als wollte er damit eine besondere Art von Gefährlichkeit beweisen: »Im Gleichschritt – marsch!«
    Sie trippelten. Bis sie nicht mehr konnten. Dann stürmten sie wieder los.
    Und der sich so gern eiskalt gebende Berija erwies sich als genauso hilflos wie sein Vorgänger Panzerplatte. Was auch hinter den Gittern bemerkt wurde. »Weitermachen!«, wurden die Gefangenen im Hof angefeuert. »Nicht aufgeben!« Irgendwo rief einer immer wieder: »Bravo!«
    Erneut liefen einige Beamte in die Häuser, um die Logenplätze zu räumen. Doch was konnten sie gegen die Beifallklatscher schon unternehmen? Sie befahlen ihnen, von den Gittern wegzutreten, aber es konnte nicht in jeder Zelle einer stehen bleiben, um die Befolgung dieses Befehls zu überwachen; kaum waren die Gefangenen unter sich, hing wieder alles am Gitter.
    Auch ein Ruf aus der Tiefe der Arrestzellen drang in den Hof: »Danke!« Das war Stracks. Gleich darauf: »Nicht aufgeben!« Eri Braun.
    Panzerplatte und Lachtaube stürzten los, um die beiden Arrestanten zum Schweigen zu bringen, ihre Kollegen steckten mal wieder die Köpfe zusammen. Bis Berija, Salonbolschewist und Zitteraal sich plötzlich in Richtung Hundezwinger entfernten.
    »Die Hunde!«, ging es durch die Reihen. »Sie holen die Köter!«
    Sogar Fabian Weiss, seit Eri Brauns Arrestierung in der Reihe neben Lenz und Dettmers, verging das Grinsen. »Jetzt wird’s ernst!«
    Er sollte Recht behalten. Kaum waren die drei zurück – jeder einen wild springenden Schäferhund an der Leine –, ließ Oppel den Erziehungsbereich stillstehen. »Letzter Vorschlag zur Güte: Sie marschieren jetzt fünf Runden normales Tempo und werden danach auf Ihre Zellen entlassen. Andernfalls werden wir den Hunden lange Leine geben.«
    Er blickte ihnen prüfend in die Gesichter, dann befahl er: »Im Gleichschritt – marsch!«
    Sie trippelten.
    »Stillgestanden! Die erste Reihe – drei Schritt vor!«
    Die Strafgefangenen Karp, Honigmann (dreieinhalb Jahre, weil er Biermann-Gedichte abgetippt und verbreitet hatte) und Kaczmarek (zwei Jahre und zehn Monate wegen schweren Grenzdurchbruchs mit einem LKW) trippelten einen halben Meter vor. Zitteraal, dessen Köter längst erregt kläffte, erkannte, dass das keine drei Schritte waren. »Weiter vor!«, schrie er. »Fofort!«
    Die drei trippelten noch ein bisschen weiter von den anderen fort, wurden noch zwei-, dreimal angebrüllt und standen schließlich drei Meter vor dem Marschblock. Berija, Salonbolschewist und Zitteraal reihten sich hinter ihnen ein, dabei die Leinen ihrer Tiere so haltend, dass der Abstand zwischen Strafgefangenem und weit aufgerissener Hundeschnauze nur wenige Zentimeter betrug; unschwer auszumalen, was dem Befehl »Fass!« folgen würde.
    »Im Gleichschritt – marsch!«
    Honigmann, Karp und Kaczmarek trippelten voran, die zähnefletschenden Bestien in ihrem Rücken sprangen und kläfften, die drei Hundeführer hatten Mühe, sie festzuhalten. So ging es dreißig Meter weit – doch keiner der drei in der ersten Reihe wurde auch nur um einen halben Fuß schneller.
    Der Beifall, der aus den Fenstern in den Hof drang, wurde zum Jubel, die Strafvollzugsbeamten blickten noch ratloser, die Köter, die nicht wussten, ob sie denn nun zubeißen sollten oder nicht, kläfften noch erregter.
    Fabian Weiss flüsterte: »Und wenn die Welt auch

Weitere Kostenlose Bücher