Krokodil im Nacken
Stammtischlern zählte auch das von der Mutter so getaufte »Trio Sorrento«. Es bestand aus dem stets sehr höflichen und zurückhaltenden, früh kahl gewordenen Kürschnermeister Otto Grün, der in der Raumerstraße eine Etagenwerkstatt besaß, seiner Frau, einer kleinen, kugelrunden Brünetten mit Puppenaugen, und ihrem Geliebten, dem Elektromeister Herrmann Holms. Halb aus Spaß, halb überzeugt davon, dass ihr nicht viel dazu fehlte, nannte sich die ständig neue Pelzmäntel tragende Kürschnermeistersgattin »die göttliche Margot«.
Der ganze Kiez wusste, dass der oft auf Mutters Klavier herumhämmernde Herrmann dem kahlköpfigen Otto seine Margot zwar nicht weggenommen hatte, er ihm die Göttliche aber auch nicht zur alleinigen Freude überlassen wollte. Und der in Wahrheit längst bankrotte Kürschnermeister, der seine Frau nicht verlieren wollte, finanzierte diese Liaison, indem er immer wieder alle Rechnungen übernahm. So wurde er bei der Mutter zum König der Anschreiber, und irgendwann stand eine solche Latte von Zahlen in ihrem Anschreibebuch, dass klar war, dass diese Schulden überhaupt nicht mehr zu bezahlen waren. Schnurrbart-Meisel schimpfte deshalb mit ihr, sie solle dem impotenten Kerl und seiner Bagage nicht immer das Geld nachschmeißen, sonst würden sie bald Pleite gehen. Die Mutter aber mochte nun mal den stillen Otto, und so schrieb sie weiter an und bekam als Dank dafür zuerst einen Muff und danach einen Pelzmantel geschenkt.
Nicht zum Stammtisch, aber unzweifelhaft mit zu den schillerndsten Persönlichkeiten, die im Ersten Ehestandsschoppen verkehrten, gehörte die kleine, dicke, stets sehr bunt gekleidete Lola Lola. Lola Lola, die sich und ihre Lebensauffassung aus den zwanziger Jahren in das Berlin der Nachkriegszeit hinübergerettet hatte; Lola Lola, die sich in der Welt der Revuetheater auskannte wie Manni sich in der der Maikäfer; Lola Lola, die nur alle halbe Jahr mal kam, aber wenn sie kam, dafür sorgte, dass die Stimmung schon nach wenigen Minuten Wellen schlug. Jeder durfte sie mal drücken, jedem vermittelte sie den Eindruck, dass das Leben lustig und schön, interessant und spannend war. Erzählte sie von ihrer großen Zeit als Revuegirl, lauschte sogar Else Golden, und tanzte sie mit Bel Ami zwischen allen Tischen hindurch, trat auch die göttliche Margot beiseite.
Im Gegensatz zur Golden war Lola Lola wirklich so etwas wie Mutters Freundin. Als ganz junge Frauen, als die fesche Lola noch Friedel Kupsch hieß, hatten sie eine Zeit lang als Serviererinnen zusammengearbeitet; bei Rabandt unterm Funkturm; zu seligen Zeiten, wie sie beide gern schwärmten. Eines Nachts jedoch beendete die Mutter diese Freundschaft. Einem Gast war Geld gestohlen worden und er verdächtigte Lola Lola. Die Mutter verteidigte die Freundin, der Gast nannte Lola Lola eine Nutte, die ihm beim Tanzen nur deshalb an den Hosenschlitz gefasst habe, um ihm mit der anderen Hand einen Fünfzigmarkschein aus der Jackentasche zu fingern. Die Polizei wurde gerufen und Lola Lola von der Mutter auf der Damentoilette einer Leibesvisitation unterzogen. Und obwohl die Mutter an Lola Lolas Unschuld glaubte, nahm sie den Polizeiauftrag ernst, um sich und allen anderen zu beweisen, dass ihre Freundin zwar ein bunter, vielleicht sogar leichtsinniger Vogel, aber deshalb noch lange keine Diebin war. Doch dann fiel der Fünfzigmarkschein aus Lola Lolas Schlüpfer und die enttäuschte Mutter machte der Freundin die bittersten Vorwürfe. Die gab sich nicht minder empört. Von ihrer Lisa hätte sie eine solche Polizeiaktion nicht erwartet, schrie sie beleidigt. Bis auf die Straße, wo der Polizeiwagen wartete, in dem Lola Lola davongefahren wurde, stritten die beiden Frauen miteinander und von da an kam Lola Lola nicht mehr in den Ersten Ehestandsschoppen .
Dass Lola Lola die Bretter, die die Welt bedeuteten, längst mit dem Laufsteg der Straße vertauscht hatte, wurde nur gemunkelt; dass Püppi Heinemann auf den Strich ging, wusste der ganze Prenzlauer Berg. Dennoch galt diese Püppi als durch und durch ehrliche Haut. »Wenn du der hundert Mark anvertraust, gibt sie dir zweihundert zurück – nur damit sie nicht in einen falschen Verdacht gerät«, sagte die Mutter von der noch sehr jungen, hellblonden Frau mit dem auffallend bleichen Gesicht, das, wenn sie zur »Arbeit« ging, stets voller Schminke war. In den »Arbeitspausen«, wenn sie bei der Mutter einen Schnaps trank, war diese Schminke oft verwischt. Das gab ihr
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