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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Brandenburger Heim, in dem sie zuletzt war, auch nicht mehr haben wollen. Ella entdeckte Manne und Manne entdeckte Ella und zwei hatten sich gefunden. Es wurde keine große Liebesgeschichte, dafür war Ella nicht das richtige Mädchen, doch es wurde eine dicke Freundschaft. Mit Ella konnte Manne reden, sie dachte viel über die Welt nach; fragte sich, wozu alles so sein musste, wie es war, und warum es nicht anders war. Aber natürlich kam es auch zu Zärtlichkeiten zwischen ihnen; das gehörte einfach dazu.
    Eines Nachts in Mannes zweitem Sommer in der Königsheide passierte es dann: Er lag allein in dem Zweierzimmer, Ete war offiziell bei seiner Ost-, inoffiziell aber bei seiner West-Schwester zu Besuch. Es war eine sehr warme Nacht, das Fenster stand offen, Wolken zogen über den Mond, Nachtvögel riefen. Er lag da und konnte nicht einschlafen. Ihm ging so vieles im Kopf herum, er hätte so gern noch mit jemandem gesprochen.
    Die Nacht dauerte an, und er wurde immer wacher, wälzte sich hin und her und starrte am Ende doch wieder zum Fenster hinaus. Bis es ihn auf einmal überkam: Ella! Er musste zu Ella! Mit Ella konnte er reden. Ruck, zuck hatte er die Hose übers Nachthemd gezogen und den Pullover drüber, und schon war er aus dem Fenster und lief zum Haus 1 hinüber. Ein paar Erdbröckchen in Höhe des ersten Stocks an das richtige Fenster geworfen und gleich winkte sie ihn zu sich; zwei, drei, vier Klammergriffe an der Regenrinne und er saß auf ihrem Bett.
    Die Mädchen, die außer Ella in dem Zimmer schliefen, hatten nichts mitbekommen, klebten an ihren Matratzen, wie es sich gehörte. Es war ein Sechserzimmer und Ella hatte seine Erdbröckchen nur gehört, weil ihr Bett direkt neben dem Fenster stand. »Was ist los?«, flüsterte sie. »Langweilig«, lautete seine Antwort, und er wollte gerade beginnen, ihr zu erzählen, was ihm so alles eingefallen war, allein in seinem Zweierzimmer, als mit einem Mal das Licht aufflammte und drei Erzieher im Zimmer standen. Die Mädchen in den anderen Betten schreckten hoch, er wollte aus dem Fenster, einer der drei Erzieher aber war schneller und packte ihn am Pullover.
    Der Hintergrund dieser überraschenden Festnahme: Seit Tagen war vor dem Haus 1 ein Spanner beobachtet worden; über den Zaun hinweg hatte er den Mädchen mit einem Fernglas in die Fenster gespäht. Die Heimleitung wollte diesen Kerl endlich mal erwischen, also hatten drei Erzieher sich auf die Lauer gelegt und schon geglaubt, sie hätten das Ferkel. Eine herbe Enttäuschung. Aber immerhin: Sie hatten ein anderes Ferkel. Was hatte der Lenz aus Haus 3 denn mitten in der Nacht bei den Mädchen von Haus 1 zu suchen? Überzeugt davon, ihn gerade noch rechtzeitig erwischt zu haben, bevor Ella und er sich für alle Zeiten unglücklich machen konnten, wurde er ins Heimleiterbüro abgeführt, und es kam zu dem einzigen Gespräch, das Papa Reiser und Manfred Lenz innerhalb von Mannes anderthalb Königsheider Jahren führten.
    Ob Kinder denn schon Kinder haben sollten? Der aus dem Schlaf gerissene Heimleiter blätterte missmutig in Mannes Akte. Ob Mädchen nicht auch einfach nur gute Kameraden sein konnten? Ob er, Manfred Lenz, Mädchen etwa nicht als Menschen achtete?
    Es war wie jedes Mal, wenn etwas Ähnliches passiert war: Man wollte, dass die Jungen und Mädchen bis zur Volljährigkeit im Heim blieben, und fürchtete insgeheim die Folgen dieses Experiments; jede pubertäre Unruhe war etwas Schandbares und auch romantische Gefühle waren nicht erlaubt.
    Manne gab keine Antwort. Hätte einer, der so sprach, ihm denn geglaubt, dass er mit Ella nur reden wollte? Außerdem: Was konnte ihm schon groß passieren? Es würde den üblichen Zusammenschiss vor der Heimvollversammlung und ein paar Wochen Ausgangssperre geben, mehr nicht.
    Ein Irrtum! Papa Reiser hielt den großen Jungen, den er gar nicht kannte, offenbar für schlimm gefährdet. So eröffnete er ihm noch in dieser Nacht, dass er dafür sorgen wolle, dass er in ein anderes Heim kam, eines, in dem es keine Mädchen gab.
    Manne zuckte nur die Achseln, innerlich aber war ihm flau zumute. Ein anderes Heim? Das hieß nicht nur weg von Ella, das hieß vor allem weg von Ete. Doch bat er nicht, bleiben zu dürfen, er wusste sofort: Er hatte vom Apfel genascht, also musste er raus aus Gott Reisers Paradies.
    Papa Reiser sagte noch, dass man ein Heim in der Nähe suchen werde, damit er nicht die Schule wechseln musste – »Wir stoßen niemanden zurück, werden

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