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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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also auch dir noch eine Chance geben!« –, dann entließ er ihn.
    Als Ete aus dem Urlaub zurückkehrte und von der Sache erfuhr, zuckte er nur die Achseln: »Egal, wo se dich hinstecken, irgendwann komm ick nach.«
    Worte, die Manne niemandem sonst abgenommen hätte; Ete aber war Ete, der sagte nichts, was er nicht ernst meinte.

12. Kein Wunschkonzert
    B ücher! Sie haben ihm Bücher bewilligt! Kommentarlos hatte der Graue, der also nicht nur Friseur und Sanitäter, sondern auch Bibliothekar war, sie Lenz durch die Klappe gereicht: zwei in abwaschbare Folie eingeschlagene und mit UHA-Stempeln versehene Schätze, die ganz offensichtlich schon durch viele Hände gegangen waren.
    Verhalte dich positiv und sie belohnen dich! Aber er hatte ihre Offerte doch abgelehnt; war das ihr Dankeschön dafür, dass er »rückhaltlos« gestanden hatte?
    Der Siebenhundert-Seiten-Wälzer von einem ihm unbekannten russischen Autor erzählte vom Staudammbau in Sibirien – stalinistische Erbauungsliteratur aus den fünfziger Jahren; das andere, schmalere Büchlein, eine satirische Rittergeschichte, stammte aus der Feder eines ihm ebenfalls unbekannten italienischen Autors. Der Graue hatte ihm beide Titel einfach in die Hände gedrückt; keine Frage nach eventuellen Wünschen, keinerlei Auswahlmöglichkeit.
    Was folgte, war eine Lesewoche. Lenz las, bis ihm vom vielen Sitzen auf dem harten Hocker der Hintern wehtat. Dann sprang er auf, lief ein paar Mal hin und her, setzte sich wieder und las weiter. Oft las er auch im Stehen. Den sowjetischen Wälzer verschlang er zweimal, den Italiener dreimal. Seine ausgehungerten Augen stürzten sich geradezu auf die Buchstaben. Endlich war seine Phantasie nicht mehr nur auf eigene Hervorbringungen angewiesen, endlich durfte er mal raus aus seiner Haut.
    In dem Sibirien-Roman ging es um junge Helden, die geformt, und reaktionäre Gegner des Sowjetsystems, die in die Schranken gewiesen werden mussten; die italienische Satire, die Geschichte eines weißen Ritters, der allerhand widersinnige Abenteuer zu überstehen hat, eine vergnügliche Donquichoterie, war der reinste Lesespaß. Hätte Lenz je gedacht, dass er in seiner Zelle einmal laut lachen würde?
    Als die Woche vorüber war, bekam er neue Lektüre hereingereicht. Er hatte schon darauf gewartet, hatte an der Tür lauschend den kleinen, doppelstöckigen Handwagen mit den vielen Büchern drauf von Zelle zu Zelle fahren hören. Es war derselbe Wagen, mit dem morgens, mittags und abends das Essen gebracht wurde; der, dessen Gummiräder auf dem linoleumbelegten Flurboden so schön schmatzten.
    »Bitte was Dickes!« Egal, was er las, wenn es nur viele Seiten hatte. Eine Woche war lang.
    »Das woll’n alle.« Er bekam einen dicken Schmöker und wiederum ein eher schmales Bändchen in die Zelle gereicht. Den dicken Schmöker – Die drei Musketiere – hatte er als Junge schon öfter gelesen, er schaffte es nur noch einmal, mit d’Artagnan, Athos, Aramis und Porthos gegen die Feinde der Königin zu kämpfen. Das schmale Bändchen, Kurzgeschichten von Konstantin Paustowski, las er viermal.
    Und so ging es weiter: Jede Woche zwei Bücher; ein dickes, ein dünnes. Der einzige Grund, eines davon zurückzuweisen, war die Behauptung, es schon einmal hereingereicht bekommen zu haben. Dazu musste er schnell sein, die Bücher in die Hand nehmen und mit flinkem Blick erkennen, was da der kommenden Woche ihren Stempel aufdrücken sollte. Nieten wie Sachbücher über das Leben der Insekten in der norddeutschen Tiefebene oder Anleitungen für den pfiffigen Heimwerker mussten sofort in den Lostopf zurückgeworfen, Hauptgewinne, Werke der Weltliteratur, durften dankbar ans Herz gedrückt werden. Der Graue überprüfte das nicht; es war ihm egal, was seine Kundschaft las, wenn es nur seitenmäßig einigermaßen gerecht zuging.
    Totale Nieten und große Hauptgewinne jedoch waren selten; es kam nur hin und wieder vor, dass Lenz Werke von Autoren des sozialistischen Realismus zu lesen bekam. Doch sogar dafür war er dankbar, weil sie ihm seine Situation sehr erleichterten. Da wusste er doch gleich wieder, wo er war und weshalb er wegwollte. Revolutionäre, die ihre siegreiche Revolution verteidigten, seien Reaktionäre, hieß es. Was waren dann aber Autoren, die gar keine Revolution verteidigten, sondern nur ein System, das ihnen von ein paar bürokratisch-diktatorischen Alleswissern übergestülpt worden war?
    Manchmal allerdings entdeckte er Autoren für sich –

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