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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Menschen dort befeuerten sie und halfen ihr, die Tragödie in ihrem Elternhaus zu verdrängen. Solange sie noch nicht volljährig war, bekam sie eine Art Waisenrente, gelegentlich arbeitete sie aber auch. Schlosser wußte, daß sie viele neue Leute kennenlernte und sich auch photographieren ließ – Kunst gegen das Establishment, sagte Gisela dazu, doch er war skeptisch.
    Schlosser gab seinen Posten im Museum endgültig auf, und seinen letzten Tag verbrachte er mit Willem in der Asservatenkammer. Sie erfreuten sich an den Stücken und Artefakten, sie entglitten in den Zeiten. Später kam der Museumsdirektor und holte die Jungs in sein Büro. Es gab Kaffee und Gebäck, der Direktor bedankte sich und übergab Schlosser einen Gutschein, mit dem er praktisch die nächsten hundert Jahre freien Eintritt ins Museum haben würde. Und als der Direktor dann erfuhr, daß Schlosser Völkerkunde in Berlin studieren wollte, geriet er in Begeisterung und versprach, Schlosser ein Empfehlungsschreiben und ein paar nützliche Adressen mitzugeben.
    Zum Abschied wollten die Jungs noch wissen, ob die vermeintlichen Repliken, die Schlosser damals entdeckt hatte, in Wirklichkeit nicht doch Skythengold aus der Eremitage gewesen waren. Und der Direktor kam gleich zur Sache. Jawohl, Schlosser sei damals tatsächlich auf einen Schatz gestoßen, und jawohl, die Beutekunst sei zurück an die Eremitage gegeben worden. Und gewissermaßen im Gegenzug wären nun einige lang vermißte Stücke wieder im Übersee-Museum, nichtwahr, ein stiller, diplomatischer Vorgang, der sich lange durch den Eisernen Vorhang hingezogen habe, und der Direktor vertraue darauf, daß die Jungs das für sich behielten.
    Im Hochsommer fuhren sie zu Zirbels Kuhle. Der Ponton lag jetzt weiter westwärts, sie verholten sich mit dem Nachen. Das Wasser erschien tief und von klarem Grün, rings die Saturnringe leuchteten.
    Schlosser hatte mit seinem Vater ausgehandelt, die ganze Familie mit Erstwohnsitz in Berlin anzumelden und die Zwillinge mitzunehmen. Anfangs hatte der Vater diesen Plan sogar noch unterstützt und mit Stolz auf die Zukunft seiner Kinder angehoben. Doch seine Trunksucht hatte ihn noch unberechenbarer gemacht, und nun war er von der Idee besessen, daß Schlosser ihm die Zwillinge wegnehmen und sein Leben ruinieren wollte. Von der Berlin-Sache wollte er nichts mehr wissen, und er drohte damit, die Zwillinge in ein Heim zu geben.
    So lagen sie auf dem Ponton, und Willem schlug vor, Doktor Blask um Rat zu fragen.
    Als das Eisen zu heiß wurde, sprangen sie ins Wasser, und später stieß ein Schwarm kreischender Mauersegler über den See.
    Sie blieben bis zur Abendröte; über ihnen der Himmel war wolkenlos, und bis zur Dämmerung dauerte es noch. Sie saßen wieder im Käfer, bevor Zirbel seinen Dienst antrat.
    Schlossers Gespräch bei Blask war kurz. Bis ins Wartezimmer hinein ahnte Willem die Reaktion des Doktors gegen die eigene Spezies. Als er sich in der Tür von Schlosser verabschiedete, lachte Blask, und sein Kopf hackte. Er versprach zu helfen, und tatsächlich gelang es ihm darauf erstaunlich schnell, die Prinzipien der Behörden auszuhebeln. Wie die Jungs erfuhren, koppelte er die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber ihren nachrückenden Generationen notwendig an die Zukunft des Landes; Wohlstand und fortdauernde Gesundheit nannte er einen Zustand, der sich nicht aus sich selbst heraus ergebe, sondern mit weiser Voraussicht und zu jeder Zeit gepflegt werden müsse, und Blask schien kein Problem damit zu haben, so zu wirken, als kämen diese Worte aus einer tiefen Überzeugung heraus. Und tatsächlich gelang es mit seiner Hilfe, Schlossers Vater entmündigen zu lassen und ihn zur Entgiftung in einer progressiven Heilanstalt unterzubringen. Das Haus der Schlossers wurde verkauft, die Schulden bezahlt, und Schlosser schrieb sich in Berlin ein. Solange er noch nicht volljährig war, wohnten die Zwillinge in der Villa der Kaffeewitwe – einer Dame, wie Schlosser sagte, die trotz ihrer gesellschaftlichen Stellung sehr offen sei, und er wußte, daß die Witwe und Gisela nächtelang diskutiert hatten und sie auch nichts gegen Giselas Haschzigaretten gehabt hatte.
    Eine Ligusterhecke umgab die Villa, und als Willem auf den kleinen Vorplatz rollte, stand Hannes auf den Eingangsstufen. Er hatte eine Lederpille unterm Arm und

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