Krúdy, G u. Szerb, A u. Szép, E
danach gab er einiges von seiner Schweigsamkeit wieder auf. Doch was waren die geistigen und praktischen Ursachen, die ihn im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem so einsilbigen Wesen gemacht haben? Die Meinung der Fachleute geht dahin, dass die englische Highschool die wichtigste Rolle dabei gespielt hat. Genauer gesagt ein bestimmter Typ der Highschool, nämlich die sogenannte Public School. Rugby, Eton, Harrow sind die berühmten Internatsschulen, in denen der Nachwuchs der englischen Eliten erzogen wird, also jene Knaben, denen, wenn sie erwachsen sind, die Rolle zufällt, England zu führen, das britische Empire zu lenken, über die Welt zu herrschen. Solche Männer werden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hier ausgebildet, sie haben künftig in fernen Erdteilen ihren Mann zu stehen, wo sie die einzigen Weißen unter Abertausenden von Eingeborenen sein werden und in einsamer Größe die geheimnisvolle Aufgabe zu erfüllen haben, die der Brite die »Last des weißen Mannes« nennt. Sonnenklar, dass die ausgezeichneten Lehrer an den Public Schools die kleinen Engländer und zukünftigen Statthalter, kolonialen Richter, Offiziere der Marine und der Army in erster Linie dazu erzogen haben, sich selbst zu beherrschen. Denn wenn der Sahib, der weiße Herr, sich gleichsam preisgibt, also mit seinen farbigen Untertanen vertraulichen Umgang pflegt, plaudert und tratscht, dann verblasst das Mysterium seiner Macht, dann ist es aus mit ihm, und auch Waffen und sonstige Gewalt können ihn nicht mehr retten; die einzigen wirksamen Mittel des weißen Mannes sind Selbstdisziplin, Schweigen und das Geheimnis, das ihn umgibt.
Ein Prophet der Schweigsamkeit war der große und besessene schottische Essayist und Historiker Thomas Carlyle. Seine lästermäuligen Kritiker haben ihm zwar vorgeworfen, er rühme das Schweigen mit übertriebener Beredsamkeit, doch übte er großen Einfluss auf seine Zeitgenossen aus, machte den Engländern deutlich, welche Kraft und Überlegenheit der Kunst des Schweigens innewohnt.
Carlyle pries die wortkarge Zurückhaltung mit der Spitzfindigkeit des Philosophen: Der Mensch muss sich in sich selbst versenken, sich lösen von der schwatzhaften Welt, wenn in seiner Seele die große Vision, der erlösende Gedanke und die Tat erwachsen sollen. Wer schwatzt, vergeudet seine besten Kräfte.
Don’t give yourself away:
Offenbare dich nicht, gib dich nicht preis, dies wurde zum nationalen Wahlspruch. Solche Zurückhaltung sollte sich nicht nur auf Worte beziehen; denn was die Begleitumstände der Sprache angeht, schweigt sich der Engländer noch beredter aus. Eine der größten Verfehlungen, die man gegen die britische Wohlerzogenheit begehen kann, besteht darin, zu gestikulieren. Auch in ihren Filmen ist zu sehen, dass Engländer das Gestikulieren für die amüsanteste Eigenschaft von Franzosen und Italienern halten. Schon das Achselzucken gilt als kolossale Ungezogenheit, und das bewegte Mienenspiel ist fast so unmöglich wie das Reden mit Händen und Füßen. Es schickt sich einfach nicht, die Braue hochzuziehen, die Stirn in Falten zu legen, den Mund zu verziehen. Eine eiserne Miene ist fast obligatorisch. So erklärt sich vielleicht auch, dass es unter den Engländern so wenige große Mimen gibt und ihre Schauspielkunst eher mittelmäßig ist: Der Engländer geniert sich, mit Gestik und Mienenspiel zu agieren, selbst als Schauspieler, so etwas sieht auch das Publikum nicht gern; die ganze Erziehung des Engländers ist darauf gerichtet, dass er lernt, sich zurückzunehmen, als Person möglichst wenig in Erscheinung zu treten – im Grunde sind die Briten ein gänzlich untheatralisches Volk.
Was ist es, worüber der Engländer nicht redet? Was hat er vor allem zu verschweigen?
Das Schweigegelöbnis, das ein Brite zwar nicht abgelegt hat, aber im Allgemeinen strikt einhält, betrifft in erster Linie sein Gefühlsleben. Eine der wichtigsten Ursachen für seine Schweigsamkeit ist die seinem Charakter innewohnende hochgradige Prüderie. Baldwin, der ehemalige Premierminister, sagte einmal, dass sich der Engländer die schüchterne Zurückhaltung des heranwachsenden Jünglings bis an sein Lebensende bewahre.
Er sagt sich: »Über Dinge, die tiefer liegen als die Tränen, reden wir nicht.«
Und in der Tat, bei uns genieren sich sechzehn-, siebzehnjährige Jungen wegen ihrer Rührung und Sanftmut, in England auch noch im Erwachsenenalter.
Der Engländer kann ein wunderbarer und zuverlässiger Freund sein,
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