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Krumme Touren in Texas

Krumme Touren in Texas

Titel: Krumme Touren in Texas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Powell
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Zeit, Schwester Jasmine
    aufzusuchen.
    Anice war sauer, als ich sie bei Park ließ, aber es
    ging nun mal nicht anders. Ich konnte nicht noch
    einmal riskieren, daß auf sie geschossen wurde.
    Ich schaltete das Licht ein, haute den Starter rein
    und fuhr zum Shepherd Drive. Das Bible Cyclorama
    war ein riesiger, kreisrunder weißer Bau aus Beton
    und Balkenwerk. Den Hauptteil des Gebäudes
    bildete eine zweigeschossige Kuppel mit einem
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    Planetarium
    zur
    Auslegung
    von
    Bibelprophezeiungen durch den Stand der Sterne.
    Weiße Scheinwerfer strahlten die Vorderfront an.
    Offensichtlich ging Schwester Jasmine heute abend
    ihrem Geschäft nach – Seelen retten. Die Leute
    sammelten sich draußen und warteten geduldig, daß
    sie eingelassen wurden – manche in Lumpen und
    Fetzen, manche in Samt und Seide. Ich parkte den
    Wagen und ging hin, um zu sehen, was es zu sehen
    gab. Irgendwie wurde ich in das Gebäude geschoben.
    Eigentlich wollte ich draußen bis nach dem
    Gottesdienst warten, um Schwester Jasmine zu
    interviewen, aber da ich schon mal drinnen war,
    beschloß ich, mich zu setzen und das Schauspiel zu
    genießen.
    Der Zuschauerraum war groß, mit etwa
    fünfhundert gepolsterten Drehstühlen. Und der
    Laden hatte eine Klimaanlage. Das machte fast eine
    Gläubige aus mir. Wenn der Herr dich bei dieser
    Hitze abkühlen konnte, dann gab es kein Halten
    mehr, was er sonst noch alles deichseln konnte. Ich
    lehnte mich entspannt zurück und streckte die Beine
    aus. Eine Frau schob einen Mann in einem großen
    Holzrollstuhl durch das Seitenschiff. Eine andere
    Frau um die Vierzig mit schneeweißem Haar, die
    einen purpurroten Chortalar trug, erschien auf der
    127
    Bildfläche und trat ans Chorpult. Ihr blasses Gesicht
    sah hart genug aus, um einen Baseball aus dem
    Wrigley Field zu schlagen.
    Genau um acht Uhr gingen die Lichter aus, und
    die
    Frau
    schwenkte
    langsam
    einen
    Punktscheinwerfer über die riesigen Wandgemälde
    mit biblischen Ereignissen, wobei sie die Szenen
    erläuterte. Am Ende des Vortrags kamen von
    irgendwoher
    gedämpfte
    Orgelklänge.
    Der
    Scheinwerfer erlosch, eine indirekte Beleuchtung ging
    langsam an, und zum ersten Mal war das ganze
    Wandgemälde vollständig zu sehen.
    Dann war der Raum in totales Dunkel gehüllt.
    Plötzlich flammten starke Leuchten hinter riesigen
    Spiegeln auf, die auf der Rückseite mit religiösen
    Szenen bemalt waren. Durch das grelle Licht hinter
    den Spiegeln wirkten die Szenen gespenstisch
    lebensecht.
    Das Publikum machte Ah und Oh und hielt
    verblüfft und gespannt den Atem an. Ich mußte
    zugeben, es war beeindruckend.
    Als die Lichter wieder angingen, stand Schwester
    Jasmine anstelle der weißhaarigen Frau am Chorpult.
    Sie trug einen weißen Chortalar und hielt die Arme
    zu einem V über dem Kopf. Die Gemeinde machte
    wieder Oh.
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    Ihre Predigt bestand im wesentlichen aus einem
    Haufen Gefühlsduselei, aber die Menge liebte das.
    Ihr starrer Blick wanderte durch den Raum, während
    sie sprach. Ungefähr in der Mitte der Predigt blieb er
    beunruhigenderweise ganz in meiner Nähe haften.
    Ich sah verstohlen zur Seite, um festzustellen, was sie
    anschaute.
    Sie versprach das übliche ewige Leben jenen, die
    glaubten, und Höllenfeuer und Verdammnis jenen,
    die nicht glaubten, dann stimmte sie ein paar fetzige
    Choräle an. Zum Schluß erbot sie sich, die Seelen
    derjenigen zu retten, die zu ihr gekommen waren.
    Einige gingen zu ihr, und sie umarmte sie, und alle
    strahlten und waren gerettet. Ich bemerkte, daß der
    Mann
    im
    Rollstuhl
    nicht
    aufstand
    und
    Freudensprünge machte, aber was soll’s, man kann
    nicht alles haben.
    Als die Vorstellung zu Ende war und alle mit
    guten Absichten und Frömmigkeit gestopft waren
    wie ein Weihnachtstruthahn, standen wir alle auf, um
    im Gänsemarsch aus der Kirche zu ziehen. Ein großer
    Mann in einem marineblauen zweireihigen Anzug
    mit einem krummen Zinken im Gesicht tauchte wie
    durch Zauberei an meiner Seite auf und faßte mich
    am Arm.
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    »Kommen Sie mit«, sagte er mit einer Stimme, die
    klang, als würde er Dynamit zum Frühstück essen
    und die Lunte zum Mittagessen anzünden.
    »Gute Güte. Was für eine unwiderstehliche
    Einladung.«
    Der Schrank sagte nichts weiter, sondern stieß
    mich zu einer Tür im hinteren Teil des Gebäudes. Wir
    betraten einen breiten, schwach erleuchteten Flur,
    bogen nach rechts und marschierten zügig zur letzten
    Tür auf der linken Seite. Auf einem

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