Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
eines sich erst in der sechsten Sonnenwende seines Lebens befindlichen Knaben klang und sich im Echo der Halle mehrmals hintereinander verfing. »… wach … wach …wach … wach … wach …«
Die Saijkalsan hatten die Stimme ihres Hirten lange nicht mehr gehört, manche von ihnen sogar noch nie in ihrem Leben. Nachdem sie ihn zum ersten Mal sprechen gehört hatten, sahen sie deshalb völlig erstaunt auf, nur um sogleich schnell wieder den Boden zu fixieren, als sie der strenge Blick des dunklen Hirten traf.
»Was glotzt ihr so?«, rief er, seine Stimme in ungewohnte Höhen tragend. »Erschreckt euch der Anblick eines entblößten schwarzen Mannes so sehr? Ein jämmerlicher, kleiner Haufen, der sich meinetwegen hier versammelt hat. Soweit ich mich erinnern kann, waren die heiligen Hallen einst voll, wenn die Saijkalrae zu einer Versammlung gerufen haben. Hofna, bringt mir ein Gewand, damit ich mich bedecken kann. Die Kinder haben offenbar Angst.«
»Sehr wohl, mein Hirte!«, antwortete Hofna folgsam und eilte durch die Halle davon.
Nur wenig später kam der Leibwächter mit einem strahlend weißen Gewand zurück, legte es dem dunklen Hirten um die Schultern und reichte ihm ein ebenfalls weißes, breites Stoffband.
»Ich danke euch«, sagte Saijrae und schnürte das Gewand mit dem Band zu, bevor er mit seiner knabenhaften Stimme fortfuhr. »Warum verhüllt ihr euch und versteckt eure Gesichter? Hatte ich Vermummungen in meiner Gegenwart nicht ausdrücklich untersagt? Nehmt sofort die Kapuzen ab, damit ich euch besser sehen kann.«
Die Saijkalsan folgten dem dunklen Hirten aufs Wort und stülpten die Kapuzen ihrer Gewänder nach hinten. Langsam schritt der dunkle Hirte von Saijkalsan zu Saijkalsan und blieb vor jedem einzelnen stehen.
»Ah, Rajuru. Schön, schön. Wie ich sehe, hast du die Schatten überwunden, nicht aber die Folgen des Alterns. Du hättest wesentlich sorgfältiger an dir arbeiten sollen. Sieh mich an. Ich bin weit älter als du. Frisch und unverbraucht wie ein makelloser Jüngling stehe ich heute vor dir. Einst brachte deine Schönheit Glanz in unsere Hallen. Was ist davon geblieben? Eine vertrocknete, alte und überaus hässliche Hexe mit fleckiger, hängender Haut, übersät mit Warzen und tiefen Falten. Abstoßend und widerwärtig«, richtete er seine Worte an die Saijkalsanhexe.
Rajuru klappte den Mund auf und wieder zu. In ihren Eingeweiden brodelte es heiß vor Zorn. Sie wollte etwas erwidern, überlegte es sich aber schnell wieder anders und schluckte ihren Ärger hinunter.
Sie wusste, dass die Anwesenheit in den heiligen Hallen der Saijkalrae das Altern unterdrückte, weil die Zeit nahezu stillstand. Was aber nicht der Fall war, wenn sie sich auf Ell aufhielt. Zeit ihres Lebens hatte sie verzweifelt versucht, den altersbedingten Verfallsprozess ihres Körpers aufzuhalten. Sie war nahe dran gewesen und hatte einen engen Zusammenhang mit den Eigenschaften des Blutes herausgefunden. Es war ihr aber zu ihrem großen Bedauern nicht gelungen, einen gangbaren Weg für sich selbst zu finden. Irgendwann hatte sie den Versuch aufgegeben, obwohl sie die Schatten tatsächlich schon lange erfolgreich überwunden hatte.
»Du wolltest etwas sagen?«, nahm Saijrae hinterhältig lächelnd die zaghafte Lippenbewegung Rajurus wahr.
Rajuru schüttelte den Kopf und wagte nicht, das Wort an den dunklen Hirten zu richten. Sie grämte sich ob seiner Worte, hatte sie doch alles für ihn und die Erweckung gegeben.
»Dann eben nicht! Es wird auch besser für dich sein, nachdem dein verkommener Sohn die Schlacht gegen die Klan und die Kontrolle über die Klanlande verloren hat«, ließ er Rajuru einfach stehen und ging zum nächsten Saijkalsan weiter.
»Malidor … Malidor, welch klangvoller und bekannter Name in meinen Ohren. Ein viel zu schöner Name für einen kleinen Betrüger, der ahnungslose Schaulustige als vermeintlich furchtloser Klippenspringer mit faulen Tricks um ihre hart verdienten Anunzen brachte. Wir sahen uns bisher nur in unseren Träumen und begegnen uns heute das erste Mal, nicht wahr?« In der Stimme des dunklen Hirten klang ein Hauch von Verachtung mit, als er sich an Malidor wandte.
Malidor nickte und brachte ebenfalls keinen Ton heraus.
»So scheu … und so schrecklich schüchtern seid ihr alle«, stellte Saijrae fest. »Was ist bloß los mit euch? Ich habe lange geschlafen, viel zu lange, und ihr habt nichts Besseres im Sinn, als euren Hirten mit einer Mauer des Schweigens zu
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