Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
groß genug sind, um für sich selbst zu sorgen.«
»Wer sagte dir das?«, fragte die Stimme.
»Ein gesichtsloses Wesen in einem Traum«, merkte Sapius an.
»So, der gesichtslose Wanderer«, stellten sie fest, »wir kennen ihn gut. Er verfolgt seine eigenen Ziele.«
»Ihr kennt ihn?« Sapius verstand die Welt nicht mehr.
»Wer kennt ihn nicht, den Wanderer zwischen den Welten? Er ist der Geist der verstorbenen Lesvaraq. Hast du ihn nicht erkannt? Du wirst dich entscheiden müssen. Hilfst du ihm seine Ziele zu verwirklichen, wird Kryson ein neues Gesicht erhalten. Niemand kann vorhersehen, was die Lesvaraq erreichen wollen und wie sie die alte Ordnung wiederherstellen. Doch eines ist gewiss: Es wird mit Krieg, Tod und Verderben verbunden sein. Du wirst dich entscheiden müssen, Sapius. Eine neue Ordnung bedeutet das Ende alles Vertrauten. Die Zerstörung der dir bekannten Welt. Dein Volk wird sterben und die Drachen verschwinden in ihre alte Heimat. Es ist ein langer und steiniger Weg bis dahin.«
Sie waren wieder da, die Zweifel über falsch oder richtig. Sapius wusste nicht, wie er die Worte der Drachen aufnehmen sollte. Sie hörten sich vorwurfsvoll an.
»Habe ich denn eine andere Wahl?«, fragte er.
»Du hast immer die Wahl«, antwortete die Stimme, »aber du hast dich bereits entschieden. Du wirst gegen die Saijkalrae kämpfen und die Lesvaraq schützen. Das Schicksal nimmt seinen Lauf.«
»Sagt mir, wie kann ich den weißen Schäfer erwecken?«, wiederholte Sapius die eingangs an die Alten gestellte Frage.
»Das ist nicht schwer. Der Bann wird aufgehoben, sobald Quadalkar den Opfertod von eigener Hand stirbt. Durch seinen Tod endet der Fluch des ewigen Schlafes und der weiße Schäfer wird aufwachen. Die Kinder des Quadalkar werden frei. So sie nicht zu alt sind und ihre natürliche Lebensspanne nicht überschritten haben, kehren sie in ihr ursprüngliches Leben zurück. Der Schatten des Fluches wird bis ans Ende ihrer Tage dunkel auf ihren verlorenen Seelen haften bleiben. Die anderen jedoch sterben«, erklärten die Drachen.
»Das bedeutet, ich muss den Bluttrinker dazu bringen, sich selbst zu töten?« Sapius war enttäuscht über die Antwort. Er hatte eine Lösung erwartet und keine unlösbaren Herausforderungen.
»Das ist unsere Antwort. Es gibt keinen anderen Weg. Überzeuge Quadalkar, wenn du den Schäfer wecken willst. Suche Kallahan, er könnte dir helfen. Und nun geh zu deinem Vater«, schlossen die Drachen das Gespräch.
Haffak Gas Vadar legte den Kopf auf die Pranken, rollte sich zusammen und begann lauthals zu schnarchen. Erschöpft hinkte Sapius die vielen Stufen hinunter, verließ ungesehen den Drachenturm und lief zum Brunnen zurück, wo er bereits ungeduldig von Valkreon erwartet wurde.
»Wo warst du?«, fragte der Diener.
»Ich habe nach Erinnerungen gesucht«, log Sapius.
»Das ist gut. Lass uns gehen, Calicalar erwartet dich«, forderte Valkreon den Magier auf.
Valkreon führte Sapius über den Platz. Beide gaben ein merkwürdiges Bild ab. Sie hinkten wortlos nebeneinander her und hielten während ihres Spaziergangs zu den in der Höhe gelegenen Häusern der Drachenflieger ihren Körper nach vorne gebeugt. Die schmalen, aus dem Gestein des Berges glatt gehauenen Gassen waren steil und wurden jeweils nach einhundert Fuß von dreißig Stufen unterbrochen. Sapius war diese Gassen oft entlanggelaufen. An den Häusern wurden bereits die ersten Öllampen angezündet. Nachdem sie die elfte Stufenansammlung hinter sich gelassen hatten, standen sie vor dem Haus, in dem Sapius aufgewachsen war.
Das Haus hatte sich nicht verändert. Ein im obersten Stockwerk angebrachter Balkon mit einer aus Stein gehauenen Brüstung umgab das Felsenhaus. Auf den Eckpfeilern des Balkons saßen bis ins kleinste Detail wundervoll nachgearbeitete Drachen, die ihre Flügel eng am Körper angelegt hatten. Die Steindrachen wirkten echt, und Sapius hatte sich als Kind oft gedacht, dass sie eines Tages die Augen öffnen, ihre Schwingen ausbreiten und sich in die Lüfte erheben würden. Eine breite, von fein gemeißelten Säulen umsäumte Treppe führte zum Eingang des Hauses. Links und rechts neben der Tür saß wiederum jeweils ein Steindrache. Sapius folgte Valkreon auf dem Fuße. Die Einrichtung im Inneren des Hauses war vergleichsweise schlicht gehalten. Valkreon bat Sapius, in der Vorhalle zu warten. Ein kalter Lufthauch zog durch die Halle und ließ Sapius frösteln. Soweit er sich erinnern konnte, war
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