Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
Sarchas abzuwehren. Madsick saß verborgen im Schatten. Unverhofft holte er seine Flöte hervor und begann zu spielen.
Die Tiere stellten die Ohren auf und lauschten aufmerksam, als die ersten Laute der zwar leisen, aber eindringlichen Musik sie erreichten. Mit einem ausgezeichneten Gehör ausgestattet nahmen die Sarchas die traurigen Klänge eher wahr, als Madhrab dies vermochte. Dennoch entging ihm die Wirkung der Töne nicht und hinterließ ein unbehagliches Gefühl in seinem Inneren. Er hatte die Musik des Jungen schon einmal gehört. In ihrer Intensität erinnerte sie ihn an den Gesang der Todsänger. Madhrab versuchte den erschreckenden Gedanken und die plötzliche Schläfrigkeit abzuschütteln, die ihn zu umfangen drohte. Aber er fühlte sich wie gelähmt. Statt den Vorteil für sich zu nutzen, war er kaum in der Lage, sich auf den Beinen zu halten, und musste sich auf das Schwert stützen, um nicht zu stürzen.
Auf die Sarchas wirkte das Flötenspiel anfangs beruhigend und die Blutjäger setzten sich laut hechelnd und mit heraushängenden Zungen in den Schnee. Doch dieser Zustand hielt nicht lange vor und die Tiere wurden mit einem Mal aus ihrer künstlichen Lethargie gerissen und verfielen stattdessen in eine Art Raserei. Die Musik des Jungen bereitete ihnen Schmerzen. Sie wehrten sich, jaulten, heulten und bissen mit krachenden Kiefern um sich, als ob sie nach einem unsichtbaren Feind schnappen wollten, der ihnen nach dem Leben trachtete. Je länger sie von den Lauten malträtiert wurden, desto heftiger wurden ihre Reaktionen. Den Feind, der an ihrem Leiden schuld war, hatten sie rasch auserkoren: Madhrab.
Von dem ihre Sinne peinigenden Flötenspiel angetrieben, stürzten sich die Sarchas auf den benommenen Lordmaster. Träge nahm Madhrab die Arme nach oben, sich gegen die wütenden Bisse der Blutjäger zu schützen. Die Sarchas griffen ihr wehrloses Opfer von allen Seiten an. Ihre kräftigen Kiefer verbissen sich in Beine und Arme, und zerrten an der Beinkleidung und brachten den Bewahrer schließlich zu Fall. Madhrab wehrte sich, aber seine Bewegungen kamen nur zögerlich und mit einem Bruchteil seiner sonst üblichen Kraft. Er schlug auf den Kopf eines Sarchas ein, der sich in seinen Unterarm verbissen hatte. Die Schläge zeigten kaum Wirkung und konnten das vor Qualen rasende Tier nicht beeinträchtigen, geschweige denn von seinem Vorhaben abbringen.
Madhrab fluchte und schrie. Bald würden sich die Sarchas durch die dicke Kleidung durchgearbeitet haben und ihm mit ihren scharfen Zähnen empfindliche Verletzungen zufügen.
Die schwachen Schreie des Bewahrers blieben ungehört.
*
»Wir werden unser Winterquartier im Dorf beziehen«, verkündete Chromlion den entsetzten Dorfbewohnern.
»Aber Lordmaster«, sagte eine verunsicherte Stimme, »wir sind nicht darauf eingerichtet, eine größere Anzahl von Kriegern über den Winter zu beherbergen. Unsere Vorräte reichen knapp bis zur frühen Sonnenwende für die Bewohner, und die Anzahl an Betten in Kalayan ist begrenzt.«
»Dann wird eben ein Teil von euch in die Scheunen ausquartiert und ihr müsst eure Gürtel enger schnallen«, antwortete Chromlion süffisant und mit einem unverschämten Lächeln auf den Lippen. »Wenn ich mich so umsehe, sind die meisten von euch ohnehin wohlgenährt. Ich will keine Klagen hören. Ihr seid zu feige, uns über den Pass zu führen, also lebt mit den Konsequenzen. Sobald der Choquai wieder begehbar ist, brechen wir auf und ziehen weiter nach Eisbergen.«
»Aber mein Herr«, erwiderte eine andere Stimme, »das wird erst in sechs oder sieben Monden sein.«
»Umso besser, dann lernen wir euch und die Bergluft besser kennen«, würgte Chromlion die aufkommenden Klagen ab.
Den Entschluss, den Winter in Kalayan zu verbringen, hätte Chromlion nach den gescheiterten Versuchen, einen geeigneten Bergführer zu finden, gefasst. Das Wagnis, ohne Führung über den Choquai-Pass zu gehen, war ihm zu hoch. Er ärgerte sich darüber, dass es noch so lange dauerte, bis er die Verfolgung wieder aufnehmen konnte. Andererseits wusste er, dass es keinen anderen und schnelleren Weg gab, nach Eisbergen zu gelangen. Wenn Madhrab den Weg über den Berg tatsächlich überleben sollte, säße er auf jeden Fall bis zur Schneeschmelze in Eisbergen fest und dort würde Chromlion ihn gewiss stellen. Er hatte nur dieses eine Ziel. Der Widersacher musste gerichtet werden. Bis dahin würde er es sich auf Kosten der Bewohner von Kalayan gut gehen
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