Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
Kopf des Kindes strich, öffnete es plötzlich die Augen und sah den Vater an. Der Blick des Säuglings traf ihn unerwartet. Madhrab wich vor Schreck zurück. Er glaubte, eine nie gekannte Kälte und Dunkelheit drängen in sein Herz, als er in die Augen des Lesvaraq blickte. Es war, als spürte er die ungeheure Macht, die von diesem Wesen ausging und jeden seiner Sinne bis ins Innerste streifte. Wie konnte das sein? Täuschten ihn seine Sinne? Madhrab fühlte sich ertappt, als wollte ihn das Kind erforschen, in seine Gedanken eindringen und seine Absichten bis in den letzten Winkel ergründen. Madhrab zwang sich genauer hinzusehen.
Der Junge besaß ein helles und ein dunkles Auge. Das rechte Auge war eisblau und vermittelte die Kälte, die Madhrab bis ins Innerste frösteln ließ. Das Linke jedoch wies ein tiefes Blau – dunkler als die Nacht selbst – auf und drohte das Licht in seiner unmittelbaren Umgebung zu verschlingen. Madhrab meinte, eine Aura wahrnehmen zu können, die sich wie ein Schild um das Kind gebildet hatte, ihm unheimlich war und seine Haare zu Berge stehen ließ. Vielleicht hatte er sich aber auch bloß getäuscht, denn als er ein weiteres Mal auf das Kind blickte, um sich zu vergewissern, war die Wahrnehmung verschwunden. Das Kind hatte die Augen geschlossen und schlief ruhig und zufrieden in den Armen seiner Mutter. Irritiert betrachtete Madhrab den schlafenden Säugling genauer. Auf der linken Brust wies er ein Muttermal auf, das Madhrab nur allzu bekannt vorkam. Es waren die Insignien der Macht von Kryson, zwei Sonnen und ein Mond, sie schienen in die Haut des Kindes eingebrannt. Ein identisches Mal prangte, leicht verdeckt unter den spärlichen Haaren, seitlich an der rechten Schläfe.
Das Zeichen der Macht in zweifacher Erscheinung, staunte Madhrab in Gedanken, was hat das zu bedeuten?
Bei all seinem Stolz und der aufkeimenden Liebe für seinen neugeborenen Sohn wurde Madhrab das Gefühl nicht los, dass dieses Kind eine Ausstrahlung aufwies, die nichts Gutes verhieß. Er sorgte sich, dass es ein Kind der Dunkelheit sein könnte.
Nach einer Weile des Nachsinnens und der stillen Betrachtung des Neugeborenen kehrte Alvara mit Corusal an ihrer Seite in die Kammer zurück. Alvara räusperte sich vorsichtig im Rücken des Bewahrers, um ihn nicht zu erschrecken und dennoch seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
»Wollt Ihr den Jungen nicht auf den Arm nehmen? Er ist Euer Sohn und fand nur schwer Eingang in unsere Welt«, fragte Alvara den Lordmaster. Sie zögerte nicht lange, hob den Säugling wie selbstverständlich hoch und drückte ihn ihm in die Arme.
»Habt Ihr Euch schon einen Namen überlegt?«, hakte die Fürstin nach. »Ihr müsst ihm einen Namen geben.«
Madhrab sah sich das Kind in seinen Armen an und dachte nach. Der Säugling sah so zart und zerbrechlich aus und doch konnte er die Macht dieses Lebens in jeder Faser spüren.
»Tomal«, kam es dem Bewahrer in den Sinn, noch bevor er lange nachdenken konnte, »der Junge soll Tomal heißen.«
»Warum nicht?«, lächelte Fürst Corusal. »Nennen wir ihn also Tomal. Der Erbe des Fürstenhauses ist geboren und hat einen Namen. Einfach und eines Fürstensohnes würdig. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!«
»Das ist ein guter Name«, bestätigte Alvara lächelnd und glücklich, endlich einen Sohn zu haben.
Ein Zeichenträger war geboren. Ein Lesvaraq.
Sie nannten den Jungen Tomal .
*
Sapius lauschte und hörte die Stimme des Drachen in seinem Kopf singen, während er auf dessen Rücken hoch über Ell flog und von einer besseren Zukunft träumte. Bald schon würde er die Lesvaraq begrüßen.
Zwei Kinder zur selben Zeit geboren, zu Herrschern auserkoren und doch verloren.
Das sind die Lesvaraq. Die Träger des Zeichens, Gestalter Krysons.
Das ungleiche Paar kehrt zurück. Licht bringt der eine, Dunkel der andere.
Von Macht und Magie sie singen, ums Gleichgewicht sie ringen, Tod und Leben sie bringen.
Bald sind sie groß, entwachsen der Mutter Schoß, begegnen sie ihrem schweren Los.
Von Neuem der Krieg beginnt, unwiederbringlich die Zeit verrinnt für das schutzlose Kind.
Eile, mein Freund, eile. Der dunkle Bruder verharrt nur eine Weile, bis der Weiße erwacht und das Feuer der Saijkalrae entfacht.
Eile, mein Freund, eile.
E PILOG
Der würdelose Tod begleitet die Mächtigen zu den Schatten.
Schenkt Euch nichts denn die Erkenntnis Eures Scheiterns.
In der Dunkelheit irrt umher Ihr alsbald,
hierhin und dorthin und doch
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