Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
Zuvor schien Nalkaar den Yasek nicht wahrgenommen zu haben. Calicalar war unangenehm berührt, als er die schreckliche Fratze des Todsängers erblickte. Die beiden Gestalten waren ihm unheimlich und ihre Macht unbegreiflich. In ihnen steckte kein wirkliches Leben, das konnte er sehen, denn sie schienen einem fortschreitenden Zerfall ausgesetzt zu sein. Der Drachenreiter erinnerte sich an die Worte des riesenhaften Todsängers und verstand, was dieser gemeint hatte. Sie waren tot und konnten nicht ein weiteres Mal getötet werden, jedenfalls nicht auf einem der üblichen Wege. Aus diesem Grund zögerte Calicalar mit dem weiteren Angriff und blieb unentschlossen vor den Todsängern stehen. Zum ersten Mal in seinem langen Leben war er ratlos, wie er dieser offenkundigen Gefahr begegnen sollte.
»Dieser Tartyk stört meine Konzentration und den Gesang«, sagte Nalkaar an Dardhrab gewandt. »Ihr solltet mir den Ärger vom Hals halten. Was ist geschehen?«
»Verzeiht, Nalkaar«, antwortete Dardhrab demütig, »der Drachenreiter behauptet, sein Drache sei nicht in Gafassa und benötige seine Unterstützung. Außerdem stürben die Drachen. Ich wollte Euch darauf aufmerksam machen, aber Ihr befandet Euch in der Trance Eures Gesanges. Da griff er uns bereits an.«
»Was hat das zu bedeuten?«, forderte Nalkaar eine Erklärung von Calicalar, indem er diesen fixierte. »Warum lauscht Ihr nicht den wundervollen Klängen, wie alle anderen Eures Volkes dies in Entzückung tun?«
»Ich bitte Euch! Seht Euch doch um. Wer oder was auch immer Ihr seid und mit welch fremden Mächten Ihr Euren Angriff gegen die Tartyk führt, es kann nicht in Eurer Absicht liegen, die Drachen sterben zu lassen. Genau dies geschieht aber, setzt Ihr Euren Gesang fort. Ihr trennt die magische Verbindung zwischen den Tartyk und den Drachen mit Euren Klängen gewaltsam, indem ihr die Seelen der Drachenreiter zerstört. Drachen und Drachenreiter sind in ihren Seelen miteinander verbunden. Die Drachen verfallen in Raserei und sterben, wenn Ihr dem Reiter die Seele entreißt.«
»Wie ist das möglich?«, fragte Nalkaar verdutzt, der plötzlich von dem unguten Gefühl geplagt wurde, er habe einen schrecklichen Fehler begangen.
»Die Drachen besitzen keine eigene Seele. Erst durch das Band mit den Tartyk wurden sie in ihrer Macht vollkommen und sicherten ihr Überleben auf Ell. Im Gegenzug erhielten die Tartyk die Langlebigkeit als besondere Gabe der Drachen. Ihr müsst das verstehen. Bevor sie nach Ell kamen, waren sie seelenlose und bösartige Kreaturen, die nach einem erbitterten Krieg aus ihrem Land vertrieben worden waren. Sie brauchen die Drachenreiter, so wie wir sie brauchen.«
»Aber wenn ich die Seele eines Drachenreiters beherrsche, erhalte ich Macht über einen Drachen«, meinte Nalkaar überrascht.
»Eine absurde Vorstellung«, antwortete Calicalar, »wie kommt Ihr bloß darauf? Wir Tartyk beherrschen die Drachen nicht. Sie sind freie Wesen, die ihre Macht mit uns teilen, um in Frieden existieren und überleben zu können.«
»Dann bin ich mit meinem Vorhaben gescheitert«, gestand Nalkaar ein, »aber im Grunde sind mir die Drachen und die Tartyk gleichgültig. Was kümmert es mich, wenn sie sterben? Zumindest konnte ich mich an ihren Seelen nähren.«
Der Todsänger wandte sich wieder an Dardhrab.
»Bringen wir es zu Ende. Die Seelen der Tartyk sind reif zur Ernte. Stimmt mit mir ein, Todsänger«, schlug Nalkaar vor.
»Nein, nicht!« Calicalar versuchte das Schlimmste zu verhindern. »Das dürft Ihr nicht. Ihr gefährdet das Gleichgewicht der Mächte.«
»Das Gleichgewicht? Ihr scheint mir ein Träumer zu sein, Drachenreiter. Warum sollte das Sterben weniger Drachen und der Tartyk das Gleichgewicht verletzen. Ich denke, Ihr überschätzt Euer Gewicht im Schicksalsgebinde Krysons. Wo ist eigentlich Euer Drache, Drachenreiter?«, hakte Nalkaar plötzlich nach.
»Nicht in Gafassa jedenfalls. Was interessiert Euch das?«, erwiderte Calicalar neuen Mut fassend.
»Ich schlage Euch einen Handel vor«, meinte Nalkaar völlig überraschend. Sein Gesichtsausdruck verriet dem Yasek nur wenig, offensichtlich hatte der Todsänger aber über die vorgebrachten Einwände nachgedacht. »Wenn Ihr Euer Volk und die übrigen Drachen retten wollt, dann überlasst mir Euren Drachen. Freiwillig.«
»Das kann ich nicht. Er ist mit mir verbunden«, sagte Calicalar empört.
»Löst Euch von ihm. Das ist alles, was ich von Euch verlange«, schlug Nalkaar
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