Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
Überlebenden aus Kalayan. Von den Erinnerungsstücken wollte er sich nicht trennen, auch wenn diese keinen unmittelbaren Nutzen versprachen und sie ihn jedes Mal, wenn er sie hervorholen würde und nachdenklich zwischen den Fingern drehte, schmerzten. Der Lordmaster verschnürte die Sachen in einem Lederbeutel, den er sich um den Hals hängte und unter seinem Hemd verbarg. Madsick würde ihn begleiten, das hatte er dem Jungen versprochen, für den er sich auf seltsame Weise verpflichtet fühlte. Noch einmal wollte er ihn nicht zurücklassen.
Sie verzichteten auf eine Verabschiedung und verließen das Dorf, sobald die Pferde gesattelt waren.
Die Reise durch die in der Dämmerung versunkenen Klanlande führte sie an Gegenden vorbei, die böse Erinnerungen weckten. Während des Winters waren die Folgen der Schlacht am Rayhin von den Schneemassen zum größten Teil verdeckt worden. Doch als sie an der Tareinakorach vorbeiritten und an den Ufern des Flusses die unzähligen Skelette, Knochenreste und langsam verrostenden Rüstungsteile und Waffen sahen, kehrten die Bilder der Schlacht und der Gefallenen zurück. Zwar führte der Rayhin klares Wasser und der Verwesungsgestank war mittlerweile verflogen, sodass der Ritt in der Nähe des Ufers erträglich war. Dennoch drückte die Vorstellung über die vergangenen Ereignisse auf die Gemüter. Madsick, der sich bislang keine Vorstellung über das Ausmaß der Schlacht gemacht hatte, wurde zunehmend schweigsamer und gewann einen Eindruck, wie viele Klan und Rachuren ihr Leben am Rayhin gelassen hatten. Im Dämmerungslicht sah die Tareinakorach gespenstisch aus. Der Junge fröstelte und spürte eine unheilige Stimmung, die von den Ufern zu ihm herüberkroch und sich zu einem düsteren Nebel verdichtete.
»So viel Tod an einem Ort«, flüsterte er mit Ehrfurcht in der Stimme. »Es ist, als könnte man die Seelen der Gefallenen mit Händen greifen. Die Schatten sind nah. Ein Fluch liegt über diesem Ort. Ich fühle sie, je näher wir uns zum Ufer des Rayhin bewegen. Manche von ihnen werden niemals Ruhe finden, weil ihnen keine Bestattung gewährt wurde.«
»Mach dir keine Gedanken darüber. Die Natur wird für ihre Bestattung sorgen. Fleisch und Knochen sind vergänglich, wie du sehen kannst. Es war uns unmöglich, ihnen das letzte Geleit zu den Schatten zu geben. Nicht gerade ehrenvoll, ich weiß. Soweit es die Klan betrifft, hätten sie eine bessere Behandlung verdient. Es waren einfach zu viele Gefallene.«
Schweigend ritten Madhrab und Madsick weiter. Vorbei an halb verfallenen Dörfern und Gehöften. In manchen, vor allem den größeren, Dörfern waren Scheiterhaufen errichtet worden, die längst zu einem Haufen Asche herabgebrannt waren, die der Wind mit sich fortgetragen und über das Land verteilt hatte. Offenbar hatte sich jemand die Mühe gemacht, die Seuchenopfer zu verbrennen, bevor die Geißel der Schatten auch den letzten der Einwohner erwischt hatte. Mancherorts reihten sich Steingräber mit Opfergaben für die Kojos aneinander.
Felder waren unbestellt geblieben, das Vieh in den Ställen und auf den Weiden verhungert. Überall stießen sie auf Tierskelette, nur selten trafen sie auf Leben. Dort, wo die Klan aus ihren Heimatdörfern und Häusern geflohen waren, stießen sie bei seltenen Gelegenheiten auf wenige verwilderte Schweine, die von der Seuche verschont geblieben waren. Nur zweimal trafen sie auf einen Klan und eine Familie, die nicht aufgegeben hatten, geblieben und offensichtlich von der Geißel der Schatten verschont worden waren. Aber es war augenscheinlich, wie schwer die Zeit der Verluste und Entbehrungen, wie hart der Kampf gegen Seuche und Hunger gewesen sein musste. In Kalayan hatten sie die Folgen des Terrors gesehen, hier, in den Ebenen der Klanlande, die Konsequenzen des Krieges und der Krankheit.
Sie schliefen kaum, und wenn, dann nur schlecht oder begleitet von schrecklichen Träumen, aus denen sie lieber sofort wieder aufgewacht wären.
»Für dieses verlorene Land zu kämpfen lohnt sich nicht«, stellte Madsick nüchtern fest.
»Unterschätze die Klan nicht«, erwiderte Madhrab. »Du siehst Hoffnungslosigkeit und eine Zeit der Dämmerung, die von einem nahenden Ende kündigt. Aber das täuscht. Die Klan sind zäh und die Natur ist robuster, als du denkst. Gib ihnen Zeit, sich zu erholen. Wenn wir die Dämmerung überwunden und die Geißel der Schatten besiegt haben, wird es rasch wieder aufwärtsgehen. Neue Dörfer werden gegründet,
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