Kryson 05 - Das Buch der Macht
verschwunden.Der Sturm hatte ihn mit sich genommen, ohne dass Murhab etwas davon bemerkt hatte. Halb über dem Steuer hängend, halb stehend blieb dem Kapitän nichts anderes übrig, als zu versuchen, das Schiff gerade auf Kurs zu halten. Seine Kleidung war bis auf die Haut durchnässt, die Hände waren steif vor Kälte und bluteten. Mit zitternden Fingern band sich der Kapitän am Ruder fest. Auf plötzlich auftretende Windböen konnte er nun nicht mehr reagieren.
Endlich ließ der Sturm nach und verzog sich, so schnell er über sie gekommen war. Tsairu war längst vorüber. Sie mussten dem tobenden Unwetter mehrere Horas lang ausgesetzt gewesen sein, vermutete der Kapitän. Er band sich los und schleppte sich zur Reling, um sich einen besseren Blick über die Lage zu verschaffen. Murhab sank vor Erschöpfung keuchend auf die Knie. Den Kopf hielt er oben. Von den Drachenchimären war nichts mehr zu sehen. In einiger Entfernung erspähte er die beiden anderen Luftschiffe. Eines davon machte einen schwer beschädigten Eindruck. Seine Augen wanderten über das fast leere Oberdeck der Aeras Tamar. Er entdeckte den Leichnam einer Drachenchimäre und mehrere Schützen am Boden. An anderer Stelle lagen weitere getötete Rachurendrachen zwischen Schützen und Mitgliedern seiner Besatzung. In den Seilen der Takelage hingen regungslos einige Frauen und Männer seiner Besatzung.
»Sie können nicht alle zu den Schatten gegangen sein«, dachte Murhab, »nicht alle! Ich habe bis zum Umfallen um ihr Leben gekämpft. Das wäre nicht gerecht.«
»Kapitän«, hörte Murhab eine vertraute Stimme hinter sich.
Die Stimme gehörte Yorhab, dem Flaggenmann. Murhab drehte sich, um den Jungen anzusehen. Zahlreiche blaue Flecken und Schrammen zierten Gesicht und Arme des Flaggenmanns. Aber zu Murhabs Erleichterung schien er nicht stark verletzt zu sein.
»Kapitän?«, sagte Yorhab unsicher, als er Murhab näher betrachtete. »Geht es Euch gut?«
»Mir geht es gut, Junge. Ich bin nur müde. Unendlich müde«, meinte Murhab.
»Es ist vorüber«, antwortete Yorhab mit einer Erleichterung in der Stimme, die Murhab das Herz wärmte. »Ihr habt uns durch den Sturm geführt und die Drachenchimären vernichtet. Wir sind gerettet, Herr.«
»Gibt es Überlebende außer uns beiden, Junge?«, wollte Murhab wissen.
»Aber ja, viele. Die meisten sind unter Deck. Wie lauten Eure Befehle, Kapitän?«
Murhab hob den Kopf und sah Yorhab in die Augen. Dieses frische Gesicht, das so voller Hoffnung steckte, gab ihm neuen Mut.
»Gib Signal an die übrigen Schiffe, dass wir überlebt haben. Sie sollen sich zur Landung bereit machen. Wir wollen die abgestürzten Begleitschiffe suchen und sehen, ob es Überlebende gibt. Unsere Toten wollen wir begraben. Das sind wir ihnen schuldig. Dann nehmen wir unsere Schäden und Verluste auf und reparieren, was es zu flicken gibt. Sind wir damit fertig, heben wir wieder ab und setzen unseren Flug fort. Hat Fürst Drolatol den Sturm schadlos überstanden?«
Yorhab lächelte, als er den Namen des Fürsten hörte.
»Er lebt«, antwortete der Flaggenmann, »aber ich würde nicht behaupten, dass er schadlos geblieben ist. Kurz nach Beginn des Sturms kam er unter Deck gerannt, wo ihn wenig später die Luftkrankheit übermannt hat. Seitdem dürfte er um einiges leichter geworden sein. Aber er hatte Glück im Unglück, eine Kiste fiel ihm auf den Kopf. Der Fürst ist noch immer bewusstlos.«
»Der Glückliche. Hat wahrscheinlich das Beste verpasst«, rang sich Murhab ein müdes Lächeln ab. »Sobald du die Begleitschiffebenachrichtigt hast, holst du den Zweiten Steuermann. Ich hoffe für uns alle, er ist noch am Leben. Er soll mich ablösen und die Aeras Tamar landen. Ich brauche etwas Schlaf. Meine alten Knochen sind morsch und für so einen Sturm nicht mehr zu gebrauchen.«
»Aye, Kapitän. Ich eile und hole den Zweiten Steuermann«, sagte Yorhab.
Die Landung verlief ruppig, aber ohne weitere Schäden an der Aeras Tamar und den anderen Luftschiffen. Murhab spürte seine schmerzenden Knochen und Muskeln.
Das gesamte Ausmaß der Luftschlacht und des Sturmes wurde den Klan erst nach der Landung bewusst. So weit das Auge reichte, lagen Kadaver getöteter Rachurendrachen weit verstreut in der Gegend. Es mussten Tausende sein. Verrenkte Hälse, aufgeplatzte Schädel und Leiber, ausgerissene Flügel und grotesk verdrehte Gliedmaßen legten Zeugnis von der ungeheueren Gewalt des Kampfes und des anschließenden Sturms ab.
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