Kubu und der Tote in der Wueste

Titel: Kubu und der Tote in der Wueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Stanley

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gesternAbend. »DerAlte Mann ist jetzt bereit«, verkündete er.
    Wieder fragte sich Bongani, wieso er sich in diese Scharade hatte hineinziehen lassen. Er wusste, was sich in dem Löwenlederbeutel befand, nämlich Tshudukus Trophäe, der mumifizierte Finger, und er wusste auch, wie unpassend es war, dass der Medizinmann ihn besaß.
    Tshuduku ging zum Campingtisch, nahm den Löwenlederbeutel und reichte ihn dem Alten Mann, der ihn mit der rechten Hand fest umklammerte. Er begann, rhythmisch hin- und herzuschaukeln, diesmal auf einen Trommelschlag, den nur er hören konnte, und fiel tiefer in Trance. Nach einer Weile sprach er zu Bongani, der nur wenige Worte verstand. Aber Tshuduku war ja da, um zu übersetzen.
    »Er sagt, der Mensch ist ermordet worden. Er sagt, es waren keine Tiere.« Dass die Polizei von einem Mord ausging, war nicht allgemein bekannt, aber es überraschte Bongani nicht, dass sich die Gerüchte in der kleinen Gemeinschaft rasch verbreitet hatten. »Er sagt, die Mörder hätten der Person etwas gestohlen. Sie stahlen seinen mowa.«
    Bongani kannte das Wort. Es bedeutete »Atem«, aber auch noch viel mehr. Es bedeutete »Identität, Seele«. Schockartig wurde er von einem alten Schrecken erfasst, den er längst vergessen glaubte. Es hieß, es gäbe böse Geister, die den Menschen den mowa stahlen und ihn zu Zwecken benutzten, die man sich nicht vorstellen durfte, weil man sonst gerade die Aufmerksamkeit dieser Geister auf sich zog. Der zurückbleibende Körper würde mit leeren Augen weiter funktionieren, seine alltäglichen Aufgaben erfüllen, aber ohne lenkende Kraft von innen. So gingen die Geschichten aus seiner Kindheit. Damals waren sie angenehm gruselig, aber man glaubte nicht so richtig daran. Dennoch blieben sie im Unterbewusstsein hängen und warteten nur darauf, an die Oberfläche zu kommen, wenn man sie am wenigsten gebrauchen konnte. Von dem plötzlichen Erschrecken in Verbindung mit dem Bier wurde ihm speiübel.
    Der Alte Mann hörte auf zu reden und zu schwanken und stand jetzt stocksteif da. Er hielt Bongani die rechte Hand hin und öffnete die Faust. Der Beutel flog auf Bongani zu, der wie erstarrt zusah. Dann fiel er zwischen die Männer zu seiner Linken, die heftig zurückwichen, wobei sie Stühle umstießen in ihrer Hast, nicht von diesem Ding berührt zu werden. Das Lachen und Reden war verstummt. Bonganis Kopf hämmerte, während das Adrenalin mit dem Alkohol und den Drogen aus der Kalebasse rang. Er musste fliehen! Obwohl er sich ermahnte, nicht so dumm zu sein und wegen einiger Kunstkniffe oder der offensichtlichen Ausnutzung von altbekanntem Aberglauben in Panik zu geraten, kam er taumelnd auf die Füße. Bongani entfernte sich mit zusammengebissenen Zähnen, jedoch ohne zu rennen, aus dem Kreis und ging in die Nacht hinaus. Das verächtliche Lachen des Alten Mannes verfolgte ihn, und bald fielen auch die anderen Männer mit Kommentaren und Gelächter ein, sobald ihre Spannung sich ein wenig gelöst hatte.
    Am nächsten Morgen wachte Bongani erschöpft und mit Kopfschmerzen auf. Wenn er an seine Reaktionen am vorigen Abend dachte, konnte er es kaum glauben! Geister, die ihre Opfer ohne Identität zurückließen, brauchten keine Kiefer zu zerschmettern und Zähne auszuschlagen, damit man den Toten nicht identifizieren konnte. Er hatte sich zum Narren gemacht. Man hatte ihn ausgelacht, und er hatte es nicht anders verdient. Jetzt wurde es Zeit, diese Sache hinter sich zu lassen und mit der Arbeit anzufangen . Kubu beeindruckte ihn. Es war die Arbeit des Detective, herauszufinden, wer dieser Mann gewesen war, ihm seine Identität zurückzugeben und seine Mörder zu bestrafen. Mehr konnte man nicht tun.
    Doch wenn Bongani glaubte, dass er von nun an nichts mehr mit dem grausigen Mord zu tun haben würde, täuschte er sich gewaltig.


Zweiter Teil

DER RUF DER NATUR

Lass der Natur nicht mehr, als sie bedarf,
    so lebt der Mensch wie`s Vieh.

    SHAKESPEARE,
    König Lear,
    2. Akt, 4. Szene


JANUAR

Kapitel 8
    Der Traum war immer derselbe. Er flog die Cap10 seines Bruders, und er genoss es. Er hatte noch nie ein Flugzeug geflogen, aber im Traum fühlte es sich wie die Erweiterung seines Körpers an. Ohne bewusst darüber nachzudenken, konnte er seine Muskeln bewegen und so die Maschine lenken. Er schoss hinauf auf zweitausend Fuß, kippte, rollte sie auf den Rücken und zog sie abrupt zurück, sodass sie mit dem Heck zuerst nach unten trudelte. Auf fünfzig Fuß fing er