Kuckucksmädchen
bist du jedenfalls nicht geworden«, sagt Phillip, und seine Stimme schwankt irgendwo zwischen Erleichterung und Trauer.
»Ich habâs versucht. Hat nicht geklappt.«
Er nickt langsam und fährt sich mit den Fingern durch den leise knisternden Bart.
»Aber Larissa ist einfacher, oder?«, frage ich weiter.
»Ja, das ist sie. Und ja, ich weiÃ, was du denkst. Manchmal vielleicht ein bisschen zu einfach. Aber sie weiÃ, was sie will, und das ist zufälligerweise das Gleiche wie das, was ich will.«
»Und das reicht? Das Gleiche zu wollen?«
»Ist auf jeden Fall eine gute Basis. Im Unterschied zu dir zweifelt sie nicht dauernd.«
»Und was meinst du, wie viele Frauen da drauÃen hätten wohl auch das Gleiche gewollt und wären deswegen ebenfalls für dich infrage gekommen?«
»Wahrscheinlich ein paar Tausend. Aber nachdem ich mich entschieden habe, nur noch die eine. Und jetzt hör auf damit.« Phillip steht auf und schmeiÃt den GroÃteil des Abendessens in den Abfall. Er nimmt die volle Mülltüte heraus, bindet sie zu und stellt sie an die Küchentür. Dann räumt er unsere Teller in die Spülmaschine, zweihundertsechzig Euro, zahlbar über zwölf Monate. Würde in diesem Moment jemand Larissa aus dem Wohnzimmer radieren, könnte man meinen, die letzten Jahre wären nicht passiert.
»Ich wollte doch nur â¦Â« Ich versuche es mit einem Lächeln, aber Phillip fängt es nicht auf, es gleitet an seinem Gesicht herunter.
»Ich weiÃ, was du wolltest, Wanda. Mir deine Bedenken aufdrücken. Aber ich habe kein Interesse.« Er nimmt einen Lappen aus der Spüle und wischt über unseren Tisch, auf dem kein einziger Krümel, kein einziger Spritzer zu sehen ist. »Wahrscheinlich weiÃt du gerade selber mal wieder nicht genau, was du willst, kann das sein? Kann es sein, dass da wieder irgendein bemitleidenswerter Typ an dir dranhängt, der warten muss, bis du fertig bist mit zweifeln?«
»Jonathan ist nicht bemitleidenswert.«
»Wie auch immer, Wanda. Was für mich am Ende zählt, ist, dass ich mich darauf verlassen kann, dass Larissa noch da ist, wenn ich nach Hause komme. Und das ist mehr, als du bieten konntest.«
Als ich wenig später ins Wohnzimmer gehen will, um mich von Larissa zu verabschieden, ist sie auf dem Sofa eingeschlafen. Ich kann nicht widerstehen, kurz im Türrahmen stehen zu bleiben und diese farblose Frau im Licht des stumm geschalteten Fernsehers zu betrachten. Sie liegt auf der Seite, den schmächtigen Körper um ihren riesigen Bauch gekringelt. In der offenen Hand hält sie ihre Perlenohrringe. Im Schlaf sieht sie fast noch friedlicher und harmloser aus als sonst. Wenn ich Phillip auch nur noch ein kleines bisschen haben wollte, hätte dieses Bild das Potenzial, so richtig schön wehzutun. Aber das tut es nicht. Es fühlt sich richtig an. Auch wenn es mein Sofa ist, auf dem sie liegt, meine Decke, in die sie sich kuschelt. Sie ist diejenige, die hierhergehört. In dieses Leben, zu diesem Mann.
Als Phillip plötzlich hinter mich tritt, fühle ich mich ertappt. Aber auch er bleibt ganz ruhig, sagt kein Wort. Eine halbe Ewigkeit stehen wir einfach nur da und betrachten Larissa, die, genau wie das Baby in ihr, in Embryonalhaltung auf dem alten Sofa meines Vaters liegt.
Dann drehe ich mich um, verabschiede mich und nehme Phillip den vollen Müllbeutel ab, den er immer noch in der Hand hält.
»Das musst du nicht machen«, sagt er, und ich sage: »Stimmt« und nehme den Müll trotzdem mit raus. Phillip nickt, umarmt mich schon wieder auffällig kurz und ruft mir ein paar Floskeln hinterher, während ich schon durchs Treppenhaus laufe. Einen guten Heimweg? Ein schönes Leben? Ich bekomme es nicht mit. Und bevor ich antworten kann, stehe ich in der kalten Luft, und hinter mir schlieÃt sich die Haustür zu meinem alten Leben. Dass ich den Müll in die falsche Tonne schmeiÃe, fällt mir erst auf, als ich schon neunzehn Schritte in Richtung S-Bahnhof Diebsteich gegangen bin.
âIch bin mir nicht ganz sicher, mein Herz.
âWorüber?
âOb jetzt wirklich sie die Loser sind. Oder nicht doch eher wir.
âWenn es nicht wehtut, haben wir alles richtig gemacht, oder?
âIch finde, du hast in den letzten Stunden ganz schön oft gesagt, dass es nicht wehtut. Auffällig oft.
âAber das tut es doch auch
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