Kuckucksmädchen
nicht. Oder?
âNa ja, jedenfalls nicht auf die schlimme Art und Weise. Aber irgendetwas fühlen wir. Irgendetwas schmerzt da doch â¦
âDu machst mich echt mürbe, seufzt das Herz resigniert. Ja, es kann sein , dass da noch ein kleines bisschen Schmerz ist. So ist das Leben, Mädchen. Die Männer hinterlassen eben Spuren, wenn sie gehen.
âVielleicht ist es auch die Tatsache, dass Phillip jetzt nur noch eine Option ist, die wir nicht wahrgenommen haben. Ein Leben, das ohne uns weitergeht, weil wir uns gegen diesen Weg entschieden haben. Kann es das sein?
âJa, räumt das Herz ein, das könnte es wohl sein.
âUnd dass wir wissen, dass die Wege und Leben, gegen die wir uns entscheiden, begrenzt sind.
Nun beginnt das Herz, sich in der Brust zu winden.
âIst ja gut jetzt, ich hab â s kapiert, ächzt es.
âIm Zweifel ist es immer der Gedanke an die Endlichkeit, der irgendwie traurig macht.
âDie Endlichkeit nervt mich schon lange, seufzt das Herz.
âFrag mich mal, antworte ich ihm.
Und während wir mit der S-Bahn durch das nächtliche Hamburg bis an die andere Seite der Stadt fahren, sind das Herz und ich uns einig.
Die halbe Nacht verbringe ich in der Küche vorm Wasserhahn. Larissas versalzenes Essen scheint jegliche Flüssigkeit aus meinem Körper gezogen zu haben. Ich stehe mit nackten FüÃen auf den viel zu kalten Fliesen und muss daran denken, mit welcher Sicherheit Phillip heute gesagt hat, dass sie die eine ist. Die, die alle anderen ausschlieÃt. Einfach, weil er sich für sie entschieden hat. Woher nimmt er diese Sicherheit? Und was an diesem Treffen hat mich so verunsichert? Die Austauschbarkeit dieser Frau? Oder die Willkür von Phillips Entscheidung?
Es ist nicht so, dass ich nicht selbst schon willkürliche Entscheidungen getroffen hätte in meinem Leben. Nur deshalb konnte mir schlieÃlich das mit meinem Job passieren. Es war nur leichter, als ich noch dachte, ich könnte mich in den unendlich vielen Jahren, die vor mir liegen, tausend Mal wieder umentscheiden.
Bis vor ein paar Tagen noch schwamm ich in einem Strom von Möglichkeiten, der es schwer machte, sich irgendwo festzuhalten, irgendwo zu ankern und zu sagen: Das ist es jetzt. Ich lieà mich treiben und wartete darauf, dass ich mich zufällig irgendwo verfange. Dass sich riesige Dimensionen auftun, in denen ich endlich alles sein, alles tun könnte und in denen ich genau weiÃ, welchen Teil vom Alles ich will. Dass das Leben endlich Form annimmt, sich in eine bestimmte Richtung ausdehnt und ich als fertige, erwachsene Frau aus dieser Fruchtwasserblase herausploppe.
Aber seit das Herz angefangen hat zu sprechen, seit Jonathan mir einen Antrag gemacht hat, seit ich Phillips optionales Leben gesehen habe, fällt das Treibenlassen so viel schwerer. Ich will nicht aus Versehen so enden wie Phillip und Larissa. Ich will nicht in einem Nest wohnen, das genauso funktioniert wie all die anderen Nester in dieser Stadt. Und ich will auch keinen Mann, der nur deswegen zu mir passt, weil ich mich eben für ihn entschieden habe. Ich will mehr.
âIch will, ich will, ich will. Aber was genau eigentlich? Besonders präzise bist du nicht gerade, Mädchen.
âDas ist deine Schuld. Bevor du angefangen hast zu sprechen, waren die Dinge irgendwie einfacher.
âAch, wirklich? , fragt das Herz eine Spur zu schnippisch zurück.
âJa, wirklich. Und ich verstehe auch nicht, welchen Grund du hast, so arrogant zu tun. Eine groÃe Hilfe warst du bis jetzt jedenfalls nicht.
âIch â¦
âDu redest mir dauernd in mein Leben rein, aber einen richtigen Plan hast du auch nicht.
âIch â¦
âUnd überhaupt. Beziehungen sind Herzensangelegenheiten, oder nicht? Es ist doch eigentlich dein Job zu wissen, was ich will.
âIch â¦
Das dritte »Ich« klingt schon um einiges kleinlauter, wie ich zufrieden feststelle.
âIch geb ja zu, ich habe ein wenig die Orientierung verloren â¦
âAha.
âIch weià in letzter Zeit selber nicht so genau, wohin mit mir.
âNa bitte. Dann bin ich offensichtlich nicht die Einzige mit ein paar ungeklärten Fragen. War doch nicht so schwer, das zuzugeben.
Das Herz nickt ertappt in meiner Brust und seufzt:
âUnd jetzt?
Ich trinke einen letzten groÃen Zug Leitungswasser und lösche das Licht in der Küche.
âJetzt? Jetzt brauchen
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