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Kuckucksmädchen

Kuckucksmädchen

Titel: Kuckucksmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Lohmann
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unwillkommener Fremdkörper. Gestern noch hat es mich abgestoßen. Aber über Nacht scheint sich etwas verändert zu haben. Als hätte der Wohnzimmerorganismus sich ausgedehnt, umgestülpt und mich dabei mit einem erleichterten Seufzer umschlossen. Plötzlich ist das alte Gefühl zurück. Das Haus ist nicht mehr beleidigt, es hat nur kurzzeitig etwas gefremdelt. Jetzt ist alles beim Alten. Ich bin wieder aufgenommen.
    Langsam komme ich im Gespräch von Ilya und seiner Mutter an. Frau Wagner ist blass und ungeschminkt, was zwar nicht schön aussieht, aber mein Zuhause-gefühl verstärkt.
    Â»Ihr habt also bis Montag sturmfrei«, sagt sie und wirft mir einen Blick zu, in dem sich die blutigen Badezimmerkacheln von letzter Nacht spiegeln.
    Â»Das hat mir Ilya gar nicht erzählt«, antworte ich wahrheitsgemäß und füge hinzu: »Außerdem wollte ich heute ja auch wieder abreisen.« Ich schaue zu Ilya, Ilya schaut in seinen Kaffee.
    Frau Wagner zuckt mit den Schultern. »Das könnt ihr machen, wie ihr wollt. Hauptsache, ihr feiert hier keine wilden Partys.«
    Ich kann es gerade kaum glauben, dass ich schon dreißig Jahre alt sein soll. Selbst Ilya stöhnt genervt auf.
    Â»Schon gut, Mama. Wir nehmen dir dein Häuschen schon nicht auseinander.« Dann nimmt er seine Tasse und geht zum Rauchen auf die Terrasse.
    Frau Wagner und ich bleiben zurück. Für einen kurzen Moment ist es ein bisschen unangenehm, aber nach einigen Sekunden genieße ich auch das. Alles, was sich gerade nach früher anfühlt, fühlt sich gut an.
    Â»Und? Bist du jetzt schlauer?« Sie deutet mit dem Kopf die Treppe hoch, in Richtung Ilyas Zimmer. Ich grinse verlegen und starre auf die Terrakottafliesen. Hatten die damals auch schon so viele Sprünge? Oder habe ich die nur nicht gesehen?
    Â»Ach, Wanda«, seufzt sie, als ich nicht antworte. »Eure Generation geht mir auf die Nerven. Diese ständige Suche nach dem perfekten Glück. Das kann doch nichts werden.«
    Ohne den Blick zu heben, gebe ich zurück:
    Â»Sie haben ja keine Ahnung, wie sehr wir uns selber auf die Nerven gehen.«
    Sie nickt. »Weißt du, ich denke, die Tatsache, dass ihr so viele Enttäuschungen erlebt, liegt daran, dass ihr so hohe Erwartungen habt. Ich dachte schon mal, tatsächlich das perfekte Glück gefunden zu haben. Hat mich auf die Dauer ziemlich unglücklich gemacht.«
    Â»Das tut mir leid.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Nein, das muss dir nicht leidtun. Ein bisschen Unglück braucht man im Leben. Schau dich an. Du hast alles, kannst alles, darfst alles. Und was bist du? Unglücklich.«
    Ich beiße mir auf die Lippen, zerbrösele peinlich berührt eine Toastecke und schäme mich für mein Glück oder mein Unglück, so genau weiß ich das gerade nicht. Dann stehe ich auf, um Ilya auf die Terrasse zu folgen, aber er hat die Tür hinter sich geschlossen. Es ist eine neue Tür, eine mit diesen Nach-unten-drück-und-zur-Seite-zieh-Hebeln, und ich drücke und ziehe und hebele, aber ich bekomme die Tür nicht auf. Ich schaue Frau Wagner hilfesuchend an und fühle mich plötzlich weder dreißig noch siebzehn, sondern eher vier Jahre alt.
    Das erste Mal seit einer Ewigkeit sehe ich ein Lächeln in ihren Mundwinkeln. Sie steht vom Tisch auf, kommt zu mir und öffnet die Terrassentür mit einem sanften Ruck und ohne hinzuschauen.
    Â»So, Wanda. Jetzt bist du wieder frei.«
    Alles eine Frage der Perspektive, denke ich und schlüpfe an ihr vorbei in die Sonne.
    Â»Die Sauerei im Badezimmer lasse ich dir übrigens ein letztes Mal durchgehen«, ruft sie mir hinterher, während ich ohne Schuhe durch den Garten zu Ilya laufe und dabei den Morgentau unter den Füßen spüre.
    Stunden später, Frau Wagner hat sich schon lange verabschiedet, sitzen wir noch immer im Garten. Ich habe die Decke mit Plastikunterseite aus der Gartenlaube geholt, Ilya hat einen Haufen Kissen daraufgeschmissen, und zusammen liegen wir da und schauen zu, wie das Gras um uns herum in der Mittagssonne immer trockener wird.
    Â»Das haste ja schön eingefädelt, dass wir ausgerechnet jetzt das Haus für uns haben«, sage ich ironisch und schubse ihn leicht von der Seite an. Seit gestern Nacht benehmen wir uns etwas unbeholfen, was körperliche Nähe angeht. Irgendwie zwischen Ficken und Freundschaft, irgendwo zwischen Früher und

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