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Kuckucksmädchen

Kuckucksmädchen

Titel: Kuckucksmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Lohmann
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sich selbst noch etwas Tee ein. Verlegen schaue ich in meine leere Tasse, dann auf die Uhr. Wahrscheinlich zertrümmern die Jungs genau in diesem Moment die dreißig Jahre alte Schlafzimmereinrichtung meiner Großeltern. Endlich klingelt es an der Tür.
    Â»Das wird er sein. Na geh schon, mach ihm auf!« Sie schaut mich nicht an, sondern rührt sehr konzentriert in ihrem Tee. Und dann sagt sie, mehr zu ihrer Porzellantasse als zu mir: »Wer sich mit einem Mann erst mal so lange Zeit lässt, der findet natürlich immer etwas …«
    Ein paar Stunden später sitze ich mit Ilya in der einzigen Kneipe in diesem Dorf. Wir trinken Tequila Sunrise, wie immer hier. Ich kann meinen Blick nicht von den anderen Gästen wenden. Sie kommen mir so bekannt vor. Sind vielleicht einfach hier sitzen geblieben. Sie müssen in einen Schockzustand gefallen sein. Eingefroren haben sie hier auf mich gewartet, jahrelang. Jetzt tauen sie wieder auf; meine Vergangenheit ist ihre Gegenwart. Alles ist wie früher. Mit einem Unterschied. Ich gehöre hier nicht hin. Fühle mich wie ein Farbklecks in einem Schwarz-Weiß-Film. Sie reden noch immer von den gleichen Dingen. Sie schauen mich an mit dem gleichen Blick.
    Â»Meinst du, die erkennen mich?«
    Â»Wieso willst du das wissen?«
    Â»Einfach so. Ob die merken, dass ich eine Zeit lang weg war?«
    Ilya schaut sich um. »Ich glaub, die merken nicht mehr so viel.« Dann sieht er wieder zu mir. Braune Augen, lange Wimpern.
    Â»Und du, merkst du, dass ich weg war?«
    â€“Ich weiß genau, was du vorhast, Kuckucksmädchen!
    â€“Er aber nicht. Und ja, ich weiß, ich wollte mich zusammennehmen … Mach ich auch gleich wieder. Nur ganz kurz. Nur ein kleines bisschen.
    â€“Du wirst schon genauso sprunghaft wie ich …
    Ilya schüttelt den Kopf und spricht in sein leeres Glas, genau wie seine Mutter in ihre Teetasse. »Fühlt sich genauso an wie früher.«
    Â»Gut oder schlecht?«
    Â»Weiß ich noch nicht.«
    Â»Ich aber. Willst du noch einen Tequila Sunrise?«, frage ich mit komplizenhaftem Lächeln. Ilya nickt und schenkt mir den Hundeblick.
    â€“Mann, ist das einfach.
    â€“Und? Macht es deswegen weniger Spaß?
    â€“Nein. Ich liebe es wie am ersten Tag.
    Vier Tequila Sunrise später wanken wir nach Hause. Vorbei am Sonnenstudio, durch den kleinen Park, in dem wir uns mit siebzehn regelmäßig bewusstlos geknutscht haben. Den Thailänder, damals eine kulinarische Sensation hier, lassen wir rechts liegen, dann stehen wir vor seinem Haus. Es ist kein Licht zu sehen, Frau Wagner ist schon schlafen gegangen. Wenn man es genau nimmt, brennt in der gesamten Straße kein Licht mehr.
    Â»Ach, Ilya, du hier in diesem Kaff, das passt irgendwie nicht.«
    Er lacht und schwankt ein bisschen, während er sich eine Zigarette anzündet. »Ich nehm’s mit Humor. Ist ja nur für ’ne Weile.« Er sieht mich an, zieht an seiner Zigarette und hält den Kopf leicht schräg. Die schwarzen Locken berühren den Kragen seines Hemdes. »Außerdem ist es gut hier, weil du so weit weg wohnst.«
    Â»Was soll’n das heiß’n?«, lalle ich beleidigt.
    Â»Sonst wärst du heute Abend wieder nach Hause gefahren, oder?«
    Das Herz hüpft.
    â€“Da stehste drauf, ne?!
    â€“Du doch auch.
    â€“Ja, ja.
    Wir hocken noch zwei Zigarettenlängen auf dem Bürgersteig herum. Unterhalten uns leise und zittern ein bisschen. Dann schleichen wir uns ins Haus, schmeißen den Videorekorder an und schauen uns die alten Aufnahmen von unserer Stufenfahrt des LK Bio an. Die Flasche Rotwein, die wir uns dazu teilen, gibt mir den Rest.
    Gegen vier Uhr morgens taumle ich ins Badezimmer und reiße Schubladen und Türchen auf.
    â€“Was machst du da?
    â€“Oh, mein Herz. Du bist noch wach?
    â€“Ja. Was machst du?
    â€“Ich suche einen Rasierer.
    â€“Wie schön. Lassen wir ihn jetzt doch ran?
    â€“Vielleicht. Ich will auf jeden Fall vorbereitet sein.
    â€“Du wirst immer mutiger, Kuckucksmädchen. Heute Morgen hast du noch gesagt …
    â€“Ja, ja, du Klugscheißer. Da hatte ich ja auch noch keine fünf Gläser Wein getrunken. Und jetzt halt mal still.
    Ich habe einen Einwegrasierer gefunden, steige mit nackten Beinen in die Badewanne und drehe das Wasser an. Der Rasierer ist ein bisschen stumpf. Er rasiert ziemlich schlecht. Überall bleiben kleine

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