Kuehles Grab
nur ihre schlanke Silhouette und langes, dunkles Haar. Mir fielen die dünnen vor der Brust verschränkten Arme auf. Runde Schultern, eine ärmellose schokoladenbraune, in der Taille verknotete Wickelbluse.
Ich spähte zu Bobby. Er schien sich für alles zu interessieren, nur nicht für Catherine Gagnon. Sie hingegen konnte die Augen nicht von ihm wenden. Sie strich mit den Fingern über ihre bloßen Arme, als könnte sie bereits die Haut auf seiner Brust spüren. Die Spannung im Raum war mit Händen zu greifen. Niemand sagte ein Wort.
»Catherine«, grüßte Bobby schließlich und blieb in gehörigem Abstand vor ihr stehen. »Danke, dass du uns empfängst.«
»Ein Versprechen ist ein Versprechen.« Ihr Blick glitt zu mir und gleich wieder zu Bobby. »Ich hoffe, der Flug war angenehm.«
»Wir können nicht klagen. Wie geht's Nathan?«
»Ausgezeichnet, vielen Dank. Er besucht eine Privatschule. Ich setze große Hoffnung auf ihn.« Sie lächelte, während Bobby nach wie vor Distanz wahrte. Schließlich sah sie D. D. an. »Sergeant Warren.« Ihr Ton hatte sich um einige Grade abgekühlt.
»Lange nicht gesehen«, gab D. D. zurück.
Catherine wandte sich mir zu, wenn auch nur um klarzumachen, dass sie sich nicht mehr mit D. D. befassen wollte. Diesmal betrachtete sie mich nachdenklich von Kopf bis Fuß. Ich hielt der Prüfung stand, war mir jedoch durchaus meines billigen Tops, der ausgefransten Jeans und der abgeschabten Schultertasche bewusst. Ich hatte zwei Jobs, um meine Miete bezahlen zu können. Friseur, Maniküre, schicke Klamotten – das war ein Luxus für Frauen wie Catherine.
Noch immer konnte ich ihr Gesicht nicht richtig sehen, aber ich bemerkte, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief. Plötzlich wurde mir klar, dass sie dieses Treffen genauso viel kostete wie mich.
Sie drehte sich abrupt zu dem dunklen Holztisch um, der den Raum beherrschte. Sie deutete auf die Lederstühle, dann auf einen älteren, grauhaarigen Herrn, den ich jetzt erst bemerkte. »Detective Dodge, Sergeant Warren, darf ich Ihnen meinen Anwalt vorstellen? Andrew Carson. Ich habe ihn gebeten, an unserer Besprechung teilzunehmen.«
»Schuldgefühle?«, fragte D. D. zuckersüß.
Catherine lächelte. »Ich bin Katholikin.«
Sie nahm Platz. Ich wählte den Stuhl ihr gegenüber aus. Wie sie ihr Haar fast trotzig über ihre Schultern warf, kurz bevor sie sich setzte, kam mir irgendwie vertraut vor. In diesem Augenblick kapierte ich: Sie sah mir verdammt ähnlich.
Bobby förderte einen Rekorder zutage und stellte ihn auf den Tisch. Catherine wechselte einen Blick mit ihrem Anwalt. Er protestierte nicht, also schwieg auch sie. D. D. traf ihrerseits Vorbereitungen und baute Papierstapel vor sich auf wie einen Verteidigungswall. Die einzigen, die tatenlos blieben, waren Catherine und ich. Wir saßen einfach nur da – die Ehrengäste dieser eigentümlichen kleinen Party.
Bobby schaltete den Rekorder ein, nannte Datum, Ort und die Namen der Anwesenden. Bei meinem Namen stockte er und wollte schon »Annabelle« sagen, hielt sich aber noch rechtzeitig zurück und wechselte zu »Tanya Nelson«. Ich wusste seine Diskretion zu schätzen.
Sie begannen mit dem Vorgeplänkel. Catherine Gagnon bestätigte, dass sie früher in Boston gewohnt hatte. Im Jahr 1980 hatte, als sie auf dem Heimweg von der Schule war, ein Fahrzeug neben ihr gehalten und ein Mann aus dem heruntergekurbelten Fenster gerufen: »Hey, Süße, kannst du mir helfen? Ich suche meinen Hund – er ist weggelaufen.«
Sie erzählte von der Entführung, ihrer Rettung und dem Prozess gegen ihren Kidnapper Richard Umbrio im Mai 1981. Ihre Stimme war tonlos, klang beinahe gelangweilt, als sie die Ereignisse schilderte; eine Frau, die ein und dieselbe Geschichte viele Male wiederholt hatte.
»Und hatten Sie nach dem Prozess im Jahr 1981 noch einmal Gelegenheit, Richard Umbrio wiederzusehen?«, fragte D.D.
Carson hob abwehrend die Hand. »Antworten Sie nicht!«
»Mr. Carson …«
»Mrs. Gagnon hat sich großzügigerweise bereit erklärt, alle Fragen über die Entführung von Oktober bis November 1980 zu beantworten«, erläuterte der Anwalt. »Ob sie Mr. Umbrio nach 1981 noch einmal begegnete, fällt damit nicht in den Bereich, der bei dieser Befragung von Interesse ist.«
D. D. wirkte sehr verärgert. Catherine lächelte matt.
»Hat Umbrio, als Sie im Oktober und November 1980«, betonte D. D. übertrieben, »in seiner Gewalt waren, jemals über andere Verbrechen,
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