Kühlfach zu vermieten - Profijt, J: Kühlfach zu vermieten
»Kein Toxikologe, Biologe oder …«
»Rechtsmediziner, ja.« Martin errötete. »Und ich liebe meinen Beruf sehr.«
»Martin!«, rief ich.
»Obwohl die Situation im Institut momentan ein bisschen, wie soll ich sagen, angespannt ist?«, fragte Irina.
Martin war schockiert. »Wie, was …« Sein Blick glitt zu Viktor, der seine Enkelin entsetzt anstarrte.
»Ich habe gehört, dass Sie viel Betrieb haben, weil die Kühlzellen der Bestatter nicht mehr ausreichen«, sagte Irina mit unschuldigem
Augenaufschlag. »Und die Hitzewelle fördert die Selbstmordrate.«
Ich konnte Martins Erleichterung wie eine warme Welle spüren. Kein Wort über das organisatorische Chaos im Institut, Einzelheiten
über die geklaute Leiche, über den unmöglichen Chef oder über Viktors Versäumnisse. Nur Informationen, die in der Zeitung
gestanden hatten. Zu öffentlich bekannten Vorgängen konnte Martin sich äußern, ohne Probleme befürchten zu müssen.
»Ja, es ist wirklich eine schwierige Zeit. Aber auch die wird wieder vorübergehen.«
»Sicher.«
Eine unangenehme Pause entstand.
»Mit wem telefoniert sie?«, brüllte ich.
»Tja, also, ich werde mich dann mal wieder auf den Weg machen«, sagte Martin.
»NEIN! Frag sie!«
»Soll ich Sie vielleicht irgendwohin mitnehmen?«
Viktor nickte heftig. »Das wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie Irina nach Hause bringen …«
»Aber Großväterchen, das ist doch nicht nötig. Ich fahre immer mit der Bahn«, erwiderte Irina.
»Aber ich habe immer ein schlechtes Gefühl, wenn du nachts allein …«
»Gern«, sagte Martin. »Wohin Sie wollen.«
Nun, dann hatten wir immerhin noch eine kleine Chance, dass Martin in der eher intimen Atmosphäre des Autos die Fragen stellen
würde, wegen der wir hier waren. Eine winzige Chance. Eine Nano-Chance.
Irina verzog keine Miene, als Martin ihr die Tür der Ente aufhielt. Auch nicht, als sie sich auf den Campingstuhl setzte,
der offiziell Beifahrersitz genannt wird, und Martin die Fensterchen auf- und hochklappte. Noch nicht einmal, als er den Zündschlüssel
umdrehte. Mir dreht sich bei diesem Geräusch immer noch der Magen um. Virtuell, Sie verstehen schon.
»Mit wem telefoniert sie nachts auf Russisch?«, erinnerte ich Martin.
Irina nannte ihm ihre Adresse und Martin fuhr los. Auf dem Weg plauderte sie über die Naherholungsmöglichkeiten im Raum Köln.
Nichts hätte mich weniger interessieren können als die Qualitäten der Schwimmbäder und Badeseen, aber Martin blieb bis auf
ein paar gelegentliche »Hm«, »Ach so« oder »Interessant« stumm. Er ignorierte alle meine Aufforderungen, Irina endlich die
wirklich wichtigen Fragen zu stellen. Ich heulte vor Wut, aber er schaltete sich gedanklich weg. Meine Machtlosigkeit tat
mir fast körperlich weh, obwohl das ja gar nicht mehr ging.
Ich begleitete Irina in ihre Wohnung, war froh, dass ich heute kein Telefonat auf Russisch mit anhören musste, und wartete,
bis sie eingeschlafen war. Danach düste ich zurück zum Institut. Martin hätte mich gar nicht dreimal an mein Versprechen erinnern
müssen.
»Wir haben einige Fälle, über die ich natürlich nichts Genaues sagen darf, in deren Blut ein Hypnotikum mitPropofol und ein Opiat, vermutlich Buprenorphin, gefunden wurden. Es stimmt doch, dass wir davon ausgehen können, dass diese
Menschen eine Operation hinter sich haben, richtig?«
Martin hing am Telefon und hakte während des Gesprächs etwas auf seinem Schreibblock ab.
»Nun, zusätzlich haben wir das Problem, dass einige der Betreffenden nicht identifiziert sind – und einige auch nicht mehr
identifizierbar.«
Einige? Was sollte das heißen? Die Bahnleiche war nicht identifiziert, und das war, angesichts des Zustands, auch nicht mehr
möglich. Aber das Schlitzauge hatte doch inzwischen immerhin einen Namen.
Kurze Pause, während der er nichts schrieb.
»Genau. Meine konkrete Frage ist also: Wir haben eine Person mit einem sehr auffälligen Tatoo, die vermutlich in den Tagen
des zehnten oder elften Juli operiert wurde. Ich würde Ihnen gern die Daten aus der Blutanalyse schicken und ein Foto des
Tatoos, damit Sie mir dann sagen können, ob Sie diese Person operiert haben.«
»Martin«, rief ich. »Der Kerl hieß Yan Yu.«
»Aber vielleicht ist er im Krankenhaus mit einer geliehenen Versichertenkarte unter einem anderen Namen behandelt worden«,
dachte Martin schnell, während er sich gleichzeitig bemühte, der Stimme am anderen
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