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Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition)

Titel: Künstler der Schaufel: Erzählungen aus Kolyma 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Warlam Schalamow
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ihrer Verhaftung unterschiedlich. Bei manchen ist das Misstrauen sehr schwer zu brechen. Nach und nach, mit jedem Tag mehr, gewöhnen sie sich an ihr Schicksal und beginnen etwas zu begreifen.
    Aleksejew war von anderem Schlag. Als hätte er viele Jahre geschwiegen – und jetzt gab ihm die Verhaftung, die Gefängniszelle die Sprache zurück. Hier fand er die Möglichkeit, das Wichtigste zu begreifen, den Lauf der Zeit zu erkennen, das eigene Schicksal zu erkennen, zu begreifen – warum. Eine Antwort zu finden auf das riesige, über seinem ganzen Leben und Schicksal, und nicht nur über seinem Leben und Schicksal, sondern über dem von Hunderttausenden anderen dräuende, riesige, gewaltige »Warum«.
    Aleksejew erzählte, ohne sich zu rechtfertigen, ohne zu fragen, einfach nur bemüht, zu begreifen, zu vergleichen, zu erkennen.
    Von morgens bis abends lief er in der Zelle auf und ab, riesig, bärenhaft, in der schwarzen Feldbluse ohne Gürtel, irgendjemanden um die Schulter genommen mit seiner riesigen Pranke, und fragte, und fragte … Oder erzählte.
    »Und wofür haben sie dich ausgeschlossen, Gawrjuscha?«
    »Ja, das war so. Während der Stunde im Politzirkel. Das Thema – der Oktober in Moskau. Und ich war ja Muralow -Soldat, Artillerist, zweimal verwundet. Ich selbst habe das Geschütz auf die Junker gerichtet, die an den Nikita-Toren waren. Der Lehrer fragt mich in der Stunde: ›Wer befehligte im Moment der Wende in Moskau die Truppen der Sowjetmacht?‹ Ich sage, Muralow, Nikolaj Iwanowitsch. Ich kannte ihn gut, persönlich. Wie kann ich etwas anderes sagen? Was kann ich sagen?«
    »Das war eine Fangfrage, Gawriil Timofejewitsch. Du hast doch gewusst, dass Muralow zum Volksfeind erklärt war?«
    »Was kann man denn anderes sagen? Ich weiß das doch nicht aus der Politfibel. Und in derselben Nacht wurde ich verhaftet.«
    »Und wie bist du nach Naro-Fominsk gekommen? In die Feuerwache?«
    »Ich habe viel getrunken. Schon 1918 wurde ich aus der Tscheka demobilisiert. Und Muralow hat mich dann dorthin geschickt. Als besonders verlässlich … Und meine Krankheit hat auch dort angefangen.«
    »Was für eine Krankheit, Gawrjuscha? Du bist so ein kräftiger Bär …«
    »Ihr werdet noch sehen. Ich weiß es selbst nicht, was ich für eine Krankheit habe … Ich kann sie mir nicht merken. Was mit mir passiert, weiß ich dann nicht mehr. Aber etwas passiert … Eine Unruhe fängt an, eine Erbitterung, und dann kommt Sie …«
    »Vom Wodka?«
    »Nein, nicht vom Wodka … Vom Leben. Der Wodka, das ist eine andere Geschichte.«
    »Du hättest studieren können … Alle Wege standen dir offen.«
    »Ja, was heißt studieren. Den einen das Studium, den anderen dieses Studium verteidigen. Rede ich nicht schön, hm, Landsmann? Und dann sind die Jahre vergangen – ich konnte ja nicht auf die Arbeiterfakultät. Blieb mir diese verdammte WOChR . Und der Wodka. Und Sie.«
    »Hast du Kinder?«
    »Ich hatte eine Tochter von der ersten Frau. Sie hat mich verlassen. Jetzt lebe ich mit einer Weberin. Ja, meine Verhaftung bringt sie beinahe um, kann sie wirklich umbringen. Ich selbst – kaum verhaftet, und schon ist mir leichter. Ich muss an nichts denken. Alles wird ohne mich entschieden. Sie überlegen sich ohne mich – wie soll Gawrjuscha Aleksejew weiterleben?«
    Es vergingen ein paar Tage, nur wenige Tage. Und Sie kam.
    Aleksejew stieß klagende Schreie aus, fuchtelte mit den Armen und krachte rücklings auf die Pritsche. Sein Gesicht wurde grau, blasiger Schaum floss aus seinem blauen Mund, von den schlaffen Lippen. Heißer Schweiß stand auf den grauen Wangen, auf der haarigen Brust. Die Nachbarn packten Aleksejew an den Armen und warfen sich auf seine Beine. Er zitterte am ganzen Körper.
    »Schützt den Kopf, seinen Kopf«, und jemand schob den schwarzen Mantel unter Aleksejews schweißnassen Kopf mit den zerzausten Haaren.
    Das war Sie. Der Fallsuchtanfall dauerte sehr lang, die mächtigen Muskelknäuel zogen sich zusammen, die Fäuste schlugen um sich, und die ungeschickten Finger der Nachbarn versuchten diese mächtigen Fäuste aufzubiegen. Die Beine wollten davonrennen, aber das Gewicht von mehreren über ihn geworfenen Menschen hielt Aleksejew auf der Pritsche.
    Und allmählich entspannten sich die Muskeln, die Finger öffneten sich, Aleksejew schlief.
    All diese Zeit klopfte der Zellendienst an die Tür und rief wie wild nach einem Arzt. Denn es musste doch einen Arzt geben im Butyrka-Gefängnis. Irgendeinen Fjodor

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