Künstlerpech: Palzkis achter Fall
Ferienzeit, erlaubte ich ihm gestern Abend, einen längeren Film auf DVD anzuschauen. Selbstverständlich einen altersgerechten, auch wenn er lieber einen James Bond schauen wollte statt den von mir aufgezwungenen 50 Jahre alten Ben Hur mit knapp vier Stunden Laufzeit.
Heute war mein Tag. Ich hatte die endlosen Demütigungen von KPD satt. Die Stunde der Abrechnung war gekommen, auch wenn ich am Ende einer der Verlierer sein würde. Nur eines wollte ich nicht: Der einzige Verlierer sein.
Fröhlich pfeifend verließ ich eine dreiviertel Stunde später den Frühstückstisch und verabschiedete mich von meiner Frau. Es war eines der wenigen Male, dass ich sie sprachlos erlebte.
In der Dienststelle angekommen, nahm ich den kürzesten Weg zu KPDs Büro, damit mein Gewissen keine Zeit mehr hatte, mir die Sache auszureden.
Gewissenlos öffnete ich schwungvoll die Tür und erschrak, allen im Raum anwesenden Personen ging es genauso. Mit offenem Mund bestaunte ich die neue Situation.
Fast überall, wo ich hinblickte, schaute ich wie in einem Spiegelkabinett in die grinsende Visage des Dienststellenleiters. Die Wände seines Thronsaals waren mit Plakaten regelrecht zugepflastert. Auf jedem Plakat war im Zentrum das gleiche dämliche und übergroße Konterfei von KPD angebracht, das altersmäßig vermutlich aus seiner Schulzeit stammte.
An dem opulenten Besprechungstisch saßen neben KPD und meinen beiden Kollegen vier steife Managertypen, geschniegelt und gebügelt, als hätten sie allesamt Bretter auf ihre Rücken geschnallt. Auch der Rest war einheitlich: Kurzer und gepflegter Haarschnitt mit Seitenscheitel, maßgeschneiderte Anzüge, goldene Füllfederhalter, die jeweils akkurat in rechtem Winkel vor einer Ledermappe lagen, sowie ein einheitlich dämlicher nichtssagender Gesichtsausdruck.
Ein fünfter Berater stand vor einem Flipchart. Die linke Hand locker mittig auf den Unterbauch gelegt, mit der rechten Hand mit einem Kugelschreiber spielend. Genauso wie man es seit 20 Jahren in sämtlichen Rhetorik- und Präsentationskursen vermittelt bekam. Ich wusste, alles musste schön ausgewogen und Authentizität und Wissen suggerierend sein. Der Kugelschreiber war natürlich vor einem Flipchart unbrauchbar. Genauso wie der Laserpointer, der vor gut 15 Jahren den Kugelschreiber ersetzte, weil er Exklusivität und Luxus ausstrahlte. Heutzutage, wo jedermann diese Dinger für 1,50 Euro im Ramschladen erstehen konnte, hatte die Beraterbranche wieder auf silberne Kugelschreiber umgestellt. Diese lagen viel eleganter in der Hand als ein dicker Flipchartmarker, auch wenn dieser viel praktischer wäre. Doch auch dieses Manko wurde durch den Präsentator geschickt eingesetzt. Sobald es etwas auf dem Flipchart zu schreiben gab, wanderte der Kugelschreiber in die linke Hand, und die rechte Hand nahm den Marker aus dem Ablagekörbchen. Diese Bewegungen und ein paar mehr wurden jedem Junior-Berater regelrecht eingedroschen, und auf seinem Weg zum Senior-Berater fiel ihm das so leicht wie das Atmen.
Dass dieses alberne Gehabe alles andere als authentisch war, störte nur die Wenigsten. Inzwischen gab es aber freiberufliche Berater, wenn auch nur wenige, die Dialekt sprachen und im offenen Hemd beim Kunden auftauchten. Im Regelfall waren dies Kunden, bei denen Wissen und Erfahrung der Berater mehr zählten, als seriöses und steifes Auftreten.
Es war mir klar, dass KPD nicht zu diesen Kunden zählte. Bei ihm stand die Etikette an erster, zweiter und dritter Stelle.
KPD spritzte aus seinem hochgepolsterten Sitz auf und stand fassungslos da.
Ich schmunzelte freundlich, ging auf ihn zu und übergab meinem Chef den Pinocchio. KPD stutzte, daher setzte ich zu einer Erklärung an.
»Guten Morgen, Herr Diefenbach. Entschuldigen Sie bitte die Unterbrechung, ich hoffe, ich störe keine wichtige Besprechung. Ich wollte Ihnen nur das Salz zurückbringen, das Sie mir am Freitag zum zweiten Frühstück ausgeliehen haben.«
Ich deutete auf Pinocchio, der nichts anderes war als ein hässlicher Salzstreuer, aus dessen überlanger Nase das Salz dosiert werden konnte. Seit vielen Jahren lag er bei mir in der Garage in der Flohmarktkiste.
KPD drehte im Reflex die Figur um, und eine Prise Salz rieselte auf die Ledermappe des neben ihm sitzenden Beraters. Die Spaßbremse mit Krawatte verzog keine Miene.
»Ja, also, äh, dann mal danke«, stotterte mein Chef hilflos, bis er sich wieder im Griff hatte. »Dann will ich Sie nicht länger von Ihrer Arbeit
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