Kuess mich doch - Roman
zu verstehen. Charlotte und Sylvia hatten ständig irgendwelche Meinungsverschiedenheiten – sei es wegen der Marke der Tönung, mit der sie einander die Haare färbten, oder wegen der Spielkarten, die sie beim Gin Rommé verwenden wollten.
Kaum hatte Lexie an ihrem Kaffee genippt, spürte sie förmlich das Koffein durch ihre Adern fließen. Sie blieb noch ein paar Minuten sitzen, um ihr Morgengetränk gebührend zu genießen und seine anregende Wirkung bewusst auszukosten, dann gesellte sie sich zu ihrer Großmutter und deren Freundin.
»Hallo!« Lexie drückte erst Charlotte und dann Sylvia einen Kuss auf die Wange.
»Da bist du ja, frisch wie der junge Morgen.« Charlotte kniff sie in die Wange. »Ich wollte gestern eigentlich aufbleiben, bis du nach Hause kommst, aber ich war zu müde.«
Lexie lächelte. »Schlaf tut dir gut.«
»Erzähl mir von deinem Rendezvous.«
»Er ist bloß ein Kunde, das habe ich dir doch schon gestern gesagt. Wir haben nur übers Geschäft geredet; Web-Design und dergleichen.« Heute konnte sie das mit gutem Gewissen behaupten – denn sie würde ja nun tatsächlich seinen Internetauftritt gestalten. Und im Gegenzug würde er hoffentlich ihr Liebesleben etwas aufregender gestalten.
Ihr war noch lebhaft in Erinnerung, wie sich ihre Knie berührt hatten; und wie er mit seiner starken Hand ihre Finger festgehalten und mit dem Daumen Kreise auf ihre Haut gemalt hatte, bis ihr ganz heiß und kribblig geworden war. In Anbetracht seiner überwältigenden Wirkung auf sie würde es gar nicht einfach werden, ihre Ziele zu verfolgen, die da lauteten: gemeinsam mehr über den Ring und die Halskette herauszufinden, dabei auf das Wohl ihrer Großmutter
zu achten, und den Ring, wenn möglich, in ihren Besitz zu bringen. Nur darum ging es letztlich, auch wenn der Weg dorthin versprach, aufregend zu werden.
»Sieh nur, Sylvia, sie wird rot!« Charlotte zeigte auf Lexies Wangen. »Nur ein Kunde, hm? Von wegen!«
»Wer’s glaubt, wird selig.« Sylvia drehte sich zu Lexie um und tippte ihr mit dem Zeigefinger auf die Wange. »Deine Großmutter hat also Recht, was den ›Kunden‹ angeht.
Du bist tatsächlich knallrot angelaufen.»
Lexie verdrehte die Augen. »Kümmert euch lieber um euer eigenes Leben, statt euch über meines den Kopf zu zerbrechen.« Dann deutete sie mit dem Kopf auf den Computer. »Und, warum sitzt ihr schon in aller Herrgottsfrühe vor dem Computer? Hast du ausprobiert, was du bisher gelernt hast?«, fragte sie ihre Großmutter.
»Na ja, ich …«
»Wir haben bloß …«
Lexie schaute den beiden stammelnden Frauen über die Schulter, konnte jedoch nicht erkennen, was sie im Schilde führten, denn der Bildschirmschoner war aktiviert. Die Worte »Born free« glitten in 3D-Buchstaben über den Monitor.
Lexie hob eine Augenbraue. »Den habe ich aber nicht installiert.« Man musste sich schon ziemlich gut mit einem Computer auskennen, um so etwas zustande zu bringen.
»Das war ich«, erklärte Sylvia eilfertig. »Ich wollte deiner Großmutter beweisen, dass ich klüger bin als
sie. Während du ihr hier Privatunterricht erteilst, nehme ich Nachhilfestunden im Computer-Laden. Und voilà!« Sie wies mit ihrer Hand auf den Bildschirm. »Das musst du mir erst einmal nachmachen, Miss Giggle«, sagte Sylvia grinsend zu Charlotte. Sie war sichtlich stolz auf sich.
Lexie musste lachen. Wie es aussah, hatte die beiden jetzt plötzlich der Ehrgeiz gepackt.
»Du wirst dich ganz schön ins Zeug legen müssen, wenn du mit Sylvia mithalten willst, Grandma.«
»Dir werd ich’s schon noch zeigen, Miss Oberschlau. « Charlotte stieß ihre Freundin mit dem Ellbogen an. »Du wirst Augen machen, wie gut ich mich dank meiner brillanten Enkelin schon mit Computern auskenne. Und wo wir gerade von dir reden, Lexie: Seit wann belügst du mich eigentlich?«
»Belügen? Ich? Dich? Inwiefern?«, fragte Lexie verwirrt. Sie war sich keiner Schuld bewusst.
»Na, dieses Rendezvous, das angeblich keines war, ist doch in Wahrheit noch viel mehr gewesen.« Charlotte musterte ihre Enkelin mit dem bewährten Röntgenblick, bei dem Lexie als Teenager stets mit der Wahrheit herausgerückt war, insbesondere dann, wenn sie wieder einmal versucht hatte, das Eislauftraining zu schwänzen. Als ihre Großmutter begriffen hatte, wie sehr ihre Enkelin das strikte Trainingsprogramm hasste, hatte sie mit Lexie stattdessen diverse städtische Museen besucht – hinter dem Rücken der Eltern.
»Was soll das heißen?
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