Kuess mich toedlich
der Zunge hängen.
Sarah fühlte, wie ihr Gesicht erstarrte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen . Der Alte machte sich so schnell er konnte davon. Sarah wusste, was geschehen war. Die erst so nett wirkende Fremde war ihm plötzlich unheimlich geworden. Zum Fürchten war der verstörte Ausdruck in ihrem Gesicht für den Mann gewesen.
Sarah stand versteinert vor dem Gehsteig, die Hand noch immer sinnlos ausgestreckt. Nein, daran würde sie sich nie gewöhnen. Wie sollte sie? In wenigen Sekunden waren zu viel Schmerz, Angst, Verzweiflung und Scham über sie hereingebrochen. Der Seelenmüll eines ganzen Lebens, das zu Ende ging, allein und von allen im Stich gelassen, nach einem mühseligen Leben voller Entbehrungen.
Sarah versuchte, das alles abzuschütteln, aber etwas blieb wie immer haften wie eine schwere Last, die man fallen ließ, deren Staub einen aber noch lange bedeckte, bis man sich davon irgendwann doch reinigen konnte. Mit aller Mühe, die sie imstande war, aufzubringen, schloss sie die Augen und dachte an den Moment, als sie frei von alledem gewesen war.
Sie verlor sich in einer Erinnerung, die nur ihr gehörte. Sie sah Ben. Ben, der mit seinen Fingerspitzen ihre Lippen berührte. Fühlte ihre entstehende Erregung.
Der Staub fiel von ihr ab, so schnell wie noch nie, sodass sie ihren Heimweg fortsetzen konnte. Zum ersten Mal war der große Panikanfall ausgeblieben.
*
Entsetzt hatte Ben die Szene eine Straße weiter hinter einer Telefonzelle versteckt beobachtet. Nur zu gern wollte er vergessen, was er gerade gesehen hatte, denn selbst ein Nicht- Assassin musste wissen, dass man ihre Reaktion nur als verdächtig bezeichnen konnte. Ben würde nicht ein Wort davon in seinem Bericht erwähnen. Noch konnte er sich keinen Reim darauf machen. Sarah war offensichtlich ein guter Mensch, der einem alten hilfsbedürftigen Mann helfen wollte, aber wieso schien sie derart angeekelt oder erschrocken von ihm gewesen zu sein? Und wieso so plötzlich? Der Alte schien zuerst dankbar und war dann regelrecht vor ihr geflohen.
Ben hatte schon von den unterschiedlichsten Formen der Entartung gelesen und einige gesehen, dennoch wollte er einfach nicht wahrhaben, dass mit Sarah etwas nicht stimmte, auch wenn es immer offensichtlicher wurde. Aber wenn er ganz ehrlich war, spielte es keine Rolle mehr. Auch wenn er gerade etwas beobachtet hatte, das Sarah in den Augen der Familie schuldig machte, würde er es bewusst verschweigen. Scheiß auf die Familie! Er würde es nicht tun. Er würde sie ihnen nicht ausliefern. Schuldig oder unschuldig interessierte ihn nicht länger, nicht, wenn es um Sarah ging.
Kapitel 5
Versuchung
S chon das dritte Klingeln. Ben zögerte immer noch, aber er musste abheben. »Ja?«
»Ihre Fortschritte lassen zu wünschen übrig«, raunte es ihm entgegen.
»Wie darf ich das verstehen ?« Ben ließ seine Stimme ruhig klingen.
»Ihr Kontakt mit der Zielperson hat bisher keine entscheidenden Hinweise ergeben. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Wir erwarten mehr. Besonders von Ihnen!« Wieder eine unbekannte Männerstimme mit Befehlen. Es reichte ihm.
»Die Zielperson ist besonders schüchtern und lebt sehr zurückgezogen. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als vorsichtig und langsam vorzugehen«, rechtfertigte Ben seine spärlichen Berichte widerwillig. Das Wort Zielperson hinterließ einen bitteren Geschmack in seinem Mund.
»Das haben wir Ihren Rapporten entnommen, aber langsam sollten Sie sich mehr Vertrauen erschlichen haben. Vielleicht sollten Sie die Taktik ändern. Mehr in Richtung Kästnerfall . Das Profil der Zielperson legt nahe, dass sie dafür empfänglich sein könnte«, deutete die Stimme ohne erkennbare Emotion an.
Ben wäre am liebsten an die Decke gegangen oder hätte seine Beherrschung verloren. Besonders bei der Erwähnung des Kästnerfalls stellten sich ihm die Haare im Nacken auf. »Sie irren sich«, gab Ben kühl zu verstehen, während er die Hand zur Faust ballte.
»Mag sein. Aber Ihre Taktik sollten Sie ändern. Oder, was immer Sie tun, mehr forcieren. Denken Sie darüber nach .«
Plötzlich klang der Mann anders. Höflich. Da wusste Ben, wie sehr er in Gefahr war. Denken Sie darüber nach , war Familiensprache für Tu etwas, oder du trägst bald die Konsequenzen, die dir bestimmt nicht gefallen werden. Kurz herrschte Stille. Der Kerl am Telefon konnte unmöglich wissen, dass er ihn belog. »Ich habe verstanden«, ließ Ben ihn wissen
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