Kuess mich toedlich
Luft. »Ich hatte keine Wahl. Er wollte dich wieder angreifen«, rechtfertigte er sich und ließ sie nicht aus den Augen. Sein grauer Blick wanderte unruhig hin und her, versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen. Sollte sie jetzt verschwinden, die Polizei rufen? Aber dann …
Die Polizisten würden sie vielleicht anfassen oder auf die Wache mitnehmen. Das wollte sie lieber nicht erleben müssen. Als hätte er ihren Gedanken gelesen, streckte Ben ihr seine Hand entgegen.
»Komm! Wir sollten verschwinden«, sagte er ernst. Sarah nickte und nahm seine Hand.
Sie fand sich vor ihrer Wohnungstür wieder, Bens warmer Atem im eiskalten Nacken. Eine Gänsehaut überzog ihre Haut. Wie waren sie hierher gekommen ? Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern. Es war einfach so passiert. Das Einzige, woran sie sich noch genau erinnerte, war, dass Ben ihre Hand erst vor dem Haus losgelassen hatte, als Sarah nach ihrem Schlüssel suchen musste. Ben hatte sie gerettet, aber Ben hatte auch einen Mann mit einem einzigen Schlag zu Boden gestreckt und war mit ihr geflohen. Sie hörte sein Fußscharren hinter sich.
»Ich würde verstehen, wenn du mich nicht in deiner Wohnung haben willst«, flüsterte Ben in dem hallenden alten Hausflur.
»Ich möchte jetzt nicht allein sein«, hörte sie sich sagen, bevor sie wusste, dass es die Wahrheit war. Ben sollte bleiben. Sie ging hinauf.
Für ihn unmerklich, da er hinter ihr stand, schloss sie mit zittrigen Händen auf, machte das Licht an und ließ Ben ein. Er wirkte, als wäre er schon einmal hier gewesen. Das irritierte Sarah. Sie gingen ins Wohnzimmer und setzten sich noch mit ihren Mänteln bekleidet auf die Couch. Minuten verstrichen, in denen sie schweigend nebeneinandersaßen.
»Geht es dir gut ?« , wollte Ben wissen. Seine Stimme klang anders als sonst.
»Ich weiß nicht. Glaub schon .« Sarah rieb die Hände aneinander. Wie hatte Ben den breiten, riesigen Kerl bloß umhauen können?
»Möchtest du Tee ?« , fragte sie, nur um irgendetwas zu sagen oder um etwas zu tun zu haben.
Ben wandte sich ihr zu. »Ja, gern.« Er schenkte ihr ein leichtes Lächeln.
Sarah stand auf, zog den Mantel aus und ging in ihre kleine, offene Küche. Mit selbstvergessenen Bewegungen füllte sie Wasser ein, stellte den Wasserkocher an und bereitete die Tassen mit den Teebeuteln vor. Sie wartete darauf, dass die Angst und Panik ausbrechen würden, aber merkwürdigerweise kamen sie nicht, was sie nicht verstand. Sie hatte doch ständig Panik wegen ihres Problems und so ein beunruhigendes Ereignis sollte bei ihr eine richtige Panikattacke auslösen. Schließlich hatte sie gerade gesehen, wie jemand, den sie kannte, einen Fremden zusammengeschlagen hatte, der sie belästigen wollte. Ben hatte sie gerettet. Aber wieso verhielt er sich, als hätte auch er etwas zu verbergen? Schließlich hatte er genauso wenig vorgeschlagen, die Polizei zu verständigen wie sie und war nur allzu bereitwillig mit ihr davongelaufen. Das war doch nicht normal. Hatte er Angst davor, dass der Betrunkene ihn anzeigen würde, oder wollte er nicht mit den Behörden in Kontakt kommen? Aber wenn ja, wieso?
Das Klacken des Wasserkochers stoppte ihre Gedankenflut. Sie beschloss, Ben vorsichtig beim Tee danach zu fragen und sich bei ihm zu bedanken. Schließlich hatte er ihr den Horror jeder Frau erspart. Aber in ihrem Fall hatte er nicht nur ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit, sondern, ohne es zu wissen, auch ihre geistige Gesundheit geschützt. Vielleicht sollte sie ihn nicht ausfragen und ihm einfach dankbar sein.
Als sie mit den beiden Teetassen ins Wohnzimmer zurückging, setzte Sarah sich wieder auf ihren Platz und stellte Bens Tasse auf dem Tisch vor ihm ab. Der Tee dampfte heiß. Sie nahm einen Schluck der süßen Kräutermischung.
»Ben?«
Er reagierte nicht. Sarah sah von der Tasse hoch. Ben war eingeschlafen, ohne dass sie es sofort bemerkt hatte.
Er lag einfach so da. Schlafend. Auf ihrer Couch. Das war nicht gut! Sie versuchte, ihre Möglichkeiten durchzuspielen, wie sie ihn wecken könnte. Doch eigentlich wollte sie ihm nicht wirklich den anscheinend bitter benötigten Schlaf rauben. Frustriert ließ sie Luft aus ihren Lungen und schloss kurz die Augen. Ratlos sank sie neben Ben aufs Sofa und blickte verstohlen zu ihm. Er schlief tief und fest, die Arme über der Brust gekreuzt, das Gesicht entspannt in ihre Richtung gelehnt. Sie konnte einfach nicht anders, konnte sich nicht beherrschen und betrachtete
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