Kuess mich toedlich
umwerfend aus. Aus ihrem Mantel schlüpfend, enthüllte sie ein schwarzes Kleid, das ihn wieder daran erinnerte, wie sehr er diese Frau wollte. Mit einem knappen »Hey« begrüßte er sie, was sie erwiderte, bevor er sie zu einem langen Begrüßungskuss an sich zog.
Sarah lächelte etwas verschämt, als er sie wieder losließ. Seine Kleidung beengte ihn schon jetzt. Diese Frau fühlte sich einfach zu gut an.
»Was willst du dir denn ansehen ?« , fragte sie ihn leicht zerstreut.
»Völlig egal. Ich will nur etwas sehen, was mich nicht zu sehr davon ablenkt, dich weiterhin zu küssen .« Er schlang den Arm um ihre Taille.
»Einverstanden.« Sie lächelte mit roten Wangen den Teppich an, was er unglaublich süß fand.
Ein passender Film war schnell gefunden. Die Auswahl war ohnehin nicht groß. Von drei ursprünglichen Sälen wurden nur noch zwei bespielt. Eine Komödie über drei Männer aus dem Altersheim, die mit einem Banküberfall die Langeweile bekämpften, war die beste Alternative. Aber es hätte auch jeder andere Film sein können. Ben hatte ohnehin nur Augen für seine rothaarige Begleiterin.
Im muffig riechenden Foyer und später im kleinen Studiokino mit den abgewetzten Sitzen sprachen sie kaum, berührten sich dafür umso mehr. Den ganzen Film über wurde geküsst, gelächelt, wurden Finger verschränkt. Er wollte sie beanspruchen, voll und ganz, nur für sich. Deshalb liebte Ben es auch so sehr, leicht über ihre Schenkel zu streichen und ihre Knie zu umfassen.
*
Sarah liebte es, sich an ihn zu lehnen, seine breite Brust unter ihrer Wange zu fühlen oder sich einfach an seinen Hals zu schmiegen, der leicht kratzig und wohlig warm war. Wenn das so weiterging, würde der Abend bestimmt wieder in Sarahs Wohnung enden. Sie war sich dessen fast sicher. Und es machte ihr diesmal keine Angst. Im Gegenteil. Sie ertappte sich dabei, wie sie sich so einen Ausgang geradezu herbeiwünschte. Sie hasste ihre Angst. Und die Angst, mit Ben zu schlafen, war eine, die sie mehr als alle anderen zum Teufel jagen wollte. Vielleicht war es heute so weit. Beim Gedanken daran schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sarah war dankbar für die Schummerbeleuchtung, denn sie wusste nur zu gut, wie rot ihre Wangen glühen mussten.
Die wenigen Besucher lachten, als eine Szene begann, in der ein Besuchstag im Heim angekündigt wurde. Alle Rentner, die Enkel hatten, warteten in einem großen Raum. Einige erkannten ihre Abkömmlinge nicht, andere redeten witziges, dummes Zeug mit ihnen. Sarah nahm das alles nur am Rande wahr. Ihre Aufmerksamkeit gehörte Bens Hals, der so wunderbar duftete. Sie bemerkte sein zufriedenes Brummen, als sie ihn mit den Lippen streifte. Seine leisen Wohlfühllaute steigerten sich, bis sich plötzlich die Stimmung vollkommen veränderte. Bens Körper spannte sich von einer Sekunde auf die andere an. Er schien weit weg, unerreichbar für Sarah, wo sie doch gerade noch einen Eid geschworen hätte, dass sie ihm verdammt nahegekommen war. Doch jetzt nicht mehr.
Aus den Augenwinkeln sah sie auf der Leinwand einen kleinen dunkelblonden Jungen, schmächtig und mit Brille, der von seinem Großvater gezeigt bekam, wie man sich mit den üblen Jungen in der Schule zu boxen hatte. Ben starrte mit leerem Blick auf den Film, als Sarah etwas spürte, das ihr Innerstes zerriss. Es blieb ihr nicht einmal die Zeit, zu flehen. Zu spät. Ihr Körper zitterte, wurde steif und verkrampft, als in ihrem Kopf das Bild eines anderen Jungen auftauchen wollte, das schemenhaft und damit unkenntlich blieb. Dafür waren die Gefühle, die zu diesem Bildfetzen gehörten, umso deutlicher. Wut, rasende Wut. Schuld, so tief und schneidend …
Aber vor allem Entsetzen und Trauer. Verdrängte, tiefe, dunkle Trauer, die in ihr Herz schnitt und eine Hoffnungslosigkeit entstehen ließ, die einem die Seele verschloss. Ansonsten war da nur ein Name: Daniel.
Ein Name, der wichtig war. Zu dem eine Geschichte gehörte. Eine Geschichte, die nicht Sarahs Erinnerung entsprang. Sie gehörte Ben.
Die Erkenntnis traf Sarah wie ein Schlag. Sie hatte etwas von Ben empfangen, eine schmerzliche Erinnerung an einen Jungen namens Daniel, die er tief in sich verborgen hielt. Wie war das möglich?
Sofort aus ihrer Vision gerissen, verfiel sie in Panik. Sie bekam keine Luft! Alles um sie herum war wie ausgeblendet. Sie nahm nur noch die verkratzten, müffelnden Sitzlehnen vor sich wahr und ihren Körper in Aufruhr, der sie wieder einmal betrogen hatte.
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