Küss mich, wenn Du kannst
dumm war er nicht. Aber Annabelle wählte ausgerechnet diesen Moment, um wieder aufzutauchen. Was er sah, verblüffte ihn so sehr, dass er aus dem Konzept geriet.
Auf ihren wirren Locken saß eine Krone, die der englischen Königin alle Ehre gemacht hätte. Dazu trug sie ein langes silbernes Kleid. Auf dem faltenreichen Rock funkelten Rheinkiesel, ein hauchzartes silbernes Netz umgab die nackten Schultern. Während sie über das Gras schritt, verwandelte die Sonne ihr Haar in leuchtende Flammen und spiegelte sich in den Glitzersteinen. Kein Wunder, dass die kreischenden kleinen Mädchen sofort verstummten. Sogar Heath wurde von Ehrfurcht ergriffen.
Für ein paar Sekunden vergaß er seinen Groll gegen Annabelle. Obwohl die Robe ein Kostüm und die Tiara nur Talmi war, erschien ihm ihre Gestalt fast überirdisch, und irgendetwas in seinem Herzen wollte nicht wegschauen.
Inzwischen hatten die meisten kleinen Mädchen ihre winzigen rosa Kleider über Shorts und T-Shirts gestreift. Als Annabelle zu ihnen ging, entdeckte er ihre Flipflops unter dem Saum des langen Rocks. Aus irgendeinem seltsamen Grund wirkten sie genau richtig.
»Seid gegrüßt, meine schönen kleinen Mädchen«, trällerte sie wie die gute Fee aus dem »Zauberer von Oz«. »Ich bin Glinda, eure Märchenfee. Jetzt werde ich jede von euch nach dem Namen fragen und euch verzaubern. Dann werdet ihr echte Prinzessinnen. Seid ihr bereit?«
Wie ein ohrenbetäubendes Quietschen verriet, konnten sie es kaum erwarten.
»Danach«, fügte sie hinzu, »werde ich euch helfen, eure eigenen Zauberstäbe zu basteln. Die könnt ihr später nach Hause mitnehmen.«
Hastig hob Heath die Späne und Pappdinger auf, die er fallen gelassen hatte, und warf sie zwischen die Töpfe voller rosa Flitter und Plastikschmuck auf die Tische. Die kleinen Mädchen hatten sich in Reih und Glied aufgestellt, und Annabelle wanderte an ihnen vorbei. Zu jedem Kind beugte sie sich hinab, fragte nach dem Namen und berührte dann seinen Kopf mit ihrem Zauberstab. »Ich ernenne dich zur Prinzessin Keesha... Ich ernenne dich zur Prinzessin Rose... Ich ernenne dich zur Prinzessin Dominga... Ich ernenne dich zur Prinzessin Victoria Phoebe.«
Verdammt! Heath fuhr herum. Zu spät erinnerte er sich an sein Handy. Hatte Pippi es tatsächlich entwendet? Er suchte das Gras an der Stelle ab, wo sie gestanden hatten, betastete seine Taschen, aber das Ding war verschwunden. Erbost wandte er sich wieder zu den Mädchen. Und da stand sie, eine winzige Handy-Diebin mit leeren Händen und einer schiefen rosa Tiara auf dem Kopf.
Sie zählte erst drei Jahre. Und nur wenige Minuten waren verstrichen. Wie weit konnte sie mit dem Ding gekommen sein? Während er seine nächsten Maßnahmen erwog, erschien Phoebe mit einer Polaroidkamera an seiner Seite. »Wir brauchen ein Foto von jedem Mädchen, wenn es im rosa Kostüm auf dem Thron sitzt. Machst du das umsonst?«, flötete sie. »Oder verlangst du jenes Geld als Pfand, mit dem die Märchenfeen den lieben Kleinen die Milchzähne zu ersetzen pflegen, wenn sie in der Nacht rausfallen?«
»Also wirklich, Phoebe, du verletzt mich zutiefst.«
»Keine Bange, du wirst sicher nicht verbluten.« Sie drückte ihm die Kamera in die Hand, dann stolzierte sie mit gleißender rosa Tiara davon, von unbeugsamer Antipathie erfüllt, die aus allen ihren Poren quoll.
Fabelhaft. Bisher hatte er es nur geschafft, seine Heiratsvermittlerin zu feuern und ein weiteres Handy zu verlieren. Seinem Ziel - der großen Versöhnung mit der Besitzerin der Stars - war er keinen Schritt näher gekommen. Und die Party fing eben erst an.
Annabelle beendete die Zeremonie, bei der die kleinen Mädchen zu Prinzessinnen befördert wurden. Dann führte sie zusammen mit Molly ein paar Kids zu den Tischen, um ihnen zu zeigen, wie man das rosa Pappzeug an die Holzstäbe kleisterte. Währenddessen eskortierten Phoebe und Hannah die anderen zu einem Tablett voller Lippenstifte und Lidschatten. Bevor Heath seinen Fotoladen eröffnen musste, blieben ihm ein paar Minuten - genug Zeit, um herauszufinden, wo ein dreijähriges Balg ein Handy versteckt haben mochte.
Aus der Kehle der guten Hexe Glinda wehte perlendes Gelächter zu ihm herüber. Doch er ließ sich nicht ablenken. Unglücklicherweise hockte Pippi neben ihrer Mutter, beide Hände vollauf beschäftigt. In einer hielt sie einen Klebestift, die andere gehörte zu dem Daumen, der in ihrem Mund steckte. Also hatte sie das Handy irgendwo verstaut.
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