Küsse auf Eis - True Love and other Disasters
hatte er sie kaum eines Blickes gewürdigt. Vom Verstand her wusste sie, dass er allen weismachen wollte, dass sie sich nicht leiden konnten, doch nach ihrem letzten Treffen stiegen in ihr Zweifel auf, ob es von seiner Seite aus nur Theater war.
Die anderen Spieler hatten sie begrüßt, und ein kurzes Hallo hätte Ty auch nicht umgebracht. Es sei denn, sie hatte ihn so erzürnt, dass er nicht mehr mit ihr zusammen sein wollte.
Sie nahm sich einen der proteinreichen Kleie-Muffins, die auf einem Tablett herumgereicht wurden, und gab auch Jules, der neben ihr saß, einen. »Gibt’s hier keine Butter?«, beschwerte sie sich, als sie ihm eine Portion Margarine reichte. Und warum würde sie beim Gedanken daran, nie wieder mit Ty zusammen zu sein, am liebsten in Tränen ausbrechen und gleichzeitig von hinten gegen seinen Sitz treten? Mit voller Wucht? »Ich hab gelesen, dass Eishockeyspieler pro Tag perverse dreitausendfünfhundert Kalorien zu sich nehmen sollen«, schwadronierte sie. »Können Sie sich das auch nur im Ansatz vorstellen? Mannomann, da sollte man doch meinen, dass es hier Butter gibt.« Sie klappte das Tablett am Vordersitz herunter und stellte den Muffin darauf. Hatte sie Ty irgendwas getan? Außer, dass sie nicht in der Öffentlichkeit mit ihm gesehen werden wollte? »Wenn ich so viele Kalorien zu mir nehmen dürfte, könnten Sie Gift drauf nehmen, dass ich mir Butter auf meinen Muffin schmieren würde. Und dass Schokostückchen drin wären. Oder noch besser, ich würde mir einen Bananen-Walnuss-Muffin genehmigen.« Tys Zeitungsrascheln versetzte ihr einen Stich in die Brust. Wie sollte sie ihm gegenübertreten, wenn er nicht mehr mit ihr zusammen sein wollte? »Ach, und das alles würde ich mit einem richtigen Caffè latte runterspülen. Keine fettreduzierten, zuckerfreien Skinny Lattes ohne Milchschaum mehr.«
Jules sah sie irritiert an. »Alles in Ordnung?«
»Klar.« Sie wünschte, sie wäre zu Hause geblieben. »Warum?«
»Sie scheinen irrational aufgebracht wegen eines Muffins.«
Faith brach ein Stückchen davon ab und schob es sich in den Mund. Nein, sie war nicht irrational aufgebracht wegen eines Muffins. Sie war irrational aufgebracht, weil der Mann, der vor ihr saß und seelenruhig in der Zeitung blätterte, nicht mehr mit ihr gesprochen hatte, seit er sie mit nichts als ihrem Regenmantel am Leib in ihrem Parkhaus abgesetzt hatte. Na gut. Dann hatte sie ihm eben ziemlich deutlich gemacht, dass sie nur mit ihm ins Bett wollte, aber er hätte sie trotzdem mal anrufen können. Und sie heute Morgen wenigstens begrüßen können.
» Bis jetzt hab ich versucht, nett zu sein. Dann brauch ich ja keine Rücksicht mehr zu nehmen «, hatte er gesagt, und sie musste davon ausgehen, dass er es ernst meinte. Sie war irra- tional wütend, weil sie, während sie sich Tys, seines Anzugstoffes und seines schwarzen Hinterkopfs nur allzu bewusst war, große Zweifel hegte, ob er überhaupt bemerkte, dass sie existierte.
Während sie mutlos ihren Muffin mampfte, riss sie den Deckel eines Fläschchens Bio-Orangensaft ab. Sie hätte sich von Jules nicht überreden lassen dürfen, die Mannschaft nach Detroit zu begleiten. Obwohl es, um fair zu sein, nicht vieler Überredungskünste bedurft hatte.
Das Zeitungsrascheln vor ihr lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Gang und Tys Ellbogen auf der Armlehne. Sie hob die Plastikflasche an die Lippen und trank einen Schluck. Das aufregende Spiel gestern Abend hatte sie sehr beeindruckt. Die schwere Niederlage, die die Chinooks Detroit beigebracht hatten, hatte das Stadion mit solch elektrischer Spannung aufgeladen, dass sich die Härchen auf Faiths Armen aufgestellt hatten. Statt nur ein organisiertes Chaos zu sehen, erkannte sie inzwischen das Können und das harte Training, die dahintersteckten.
Die perfekt ausgeführten Spielzüge und die Präzision. Die Kontrolle, die so unkontrolliert wirkte. Zum ersten Mal verstand sie Virgils Begeisterung für das Spiel.
Gestern Abend, als die Zeit abgelaufen war und das ganze Stadion ausflippte, hatte Jules ihr nahegelegt, sich zu überlegen, ob sie die Mannschaft nicht öfter begleiten wollte.
Doch jetzt, bei Tageslicht betrachtet, während sie hinter Ty saß, der sie völlig ignorierte, fand sie die Idee gar nicht mehr so toll. Eher voreilig als durchdacht. Genau wie um drei Uhr morgens mit nichts als einem raffinierten Regenmantel aus dem Penthouse zu rennen.
Als sie den Saft wieder aufs Tablett stellte, fing sich das
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